Die unsichtbaren Töchter des Aufstands
Von Ralf Höller
Der Prozess war für den 9. Mai 1525 angesetzt, sein Ausgang von vornherein klar. Seit drei Jahren lag der freie Bauer und nebenberufliche Fischer Peter Paßler im Streit mit dem Brixner Fürstbischof Sebastian Sprenz. Es ging um Fangrechte. Der Bischof hatte sie entzogen, Paßler erfolglos dagegen geklagt und dann aus Rache Straftaten begangen, kleinere zwar, aber in der Summe würde es für die Höchststrafe reichen.
Alles schien bereit an jenem Dienstagmorgen. Das Urteil war rasch gesprochen. Um es zu vollstrecken, wurde Paßler in Ketten gelegt und auf den Richtplatz vor der Brixner Hofburg geführt. Der Henker hatte das Beil bereits in der Hand, als etwas selbst für die Zeit der Bauernkriege sehr Ungewöhnliches geschah: Eine Schar Frauen, darunter die Gattin des Verurteilten, tauchte auf und bat um Gnade für Paßler. Mitten in den entstehenden Tumult stürmten plötzlich bewaffnete Bauern auf den Platz, überrannten die Wachen, entrissen Paßler seinem Henker und machten sich davon. Das Ablenkungsmanöver der Frauen hatte funktioniert.
Jener 9. Mai war der Beginn des Tiroler Bauernkriegs. Am Abend versammelten sich Paßlers Befreier auf einer Wiese vor Brixen und formulierten ihre Beschwerden gegen Fürstbischof Sebastian Sprenz, dessen Herrschaft sie für ungerecht hielten. Die Nachricht von Paßlers Rettung und der anschließenden Versammlung verbreitete sich rasch, auch dank der in ihre Dörfer zurückgekehrten Frauen. Tausende Bauern aus der Umgebung strömten nach Brixen, unterstützt von renitenten Städtern.
Es fehlen Belege
Der Bericht von jenen Brixner Ereignissen – abgefasst vom bischöflichen Schreiber Michael Gaismair, der bald die Seiten wechselte und sogar den Aufstand anführen sollte – ist eines der seltenen Zeugnisse, die eine aktive Beteiligung von Frauen am Geschehen belegen. Verbürgte Fälle lassen sich an einer Hand abzählen. Es hat sie sicher gegeben, die aktiven Frauen, doch kommen sie in der Bauernkriegeliteratur so gut wie gar nicht vor. Dies liegt nicht an einer chauvinistisch geschlechtsblinden Geschichtsschreibung, die, so die pauschale Beurteilung von Spiegel bis Taz, den »Aufstand als ›frauenloses Ereignis‹« schildere, obwohl es »feministische Identifikationsfiguren« gegeben habe.
Um beim Brixner Beispiel zu bleiben: Paßlers Ehefrau war bei der Befreiungsaktion zugegen, sie wird im Bericht ausdrücklich erwähnt. Doch wissen wir nicht einmal den Vornamen. Es ist lediglich von »Paßlers Weib« die Rede. Magdalena Gaismair, die Gattin des späteren Anführers, ist immerhin mit vollständigem Namen in den Quellen verzeichnet.
Von ihr sind einige wenige Briefe erhalten, in denen sie sich im Streit mit Behörden für ihren Mann einsetzt. Welche Rolle sie darüber hinaus im Tiroler Bauernkrieg gespielt hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Alles weitere bleibt Spekulation: etwa der beträchtliche, auch politische Einfluss, den Magdalena in ihrer Ehe und auf ihren Partner womöglich ausgeübt hat. So sieht es ein Theaterstück von Felix Mitterer aus dem Jahr 2000, Titel: »Gaismair«. So könnte es tatsächlich gewesen sein, doch reicht Plausibilität allein nicht aus. Es fehlen die Belege. Mitterer ist Künstler, er darf fabulieren. Wissenschaftler müssen sich eher an die Fakten halten. Und die Quellen studieren.
Genau dies hat Martin P. Schennach getan. Er hat den Lehrstuhl für Rechtsgeschichte an der Universität Innsbruck inne. Im Rahmen einer Untersuchung zum Tiroler Bauernkrieg wertete Schennach unzählige Quellen sowohl von Herrschafts- als auch von Aufrührerseite aus. »Bei entscheidenden Zusammenkünften der Aufständischen sind Frauen kein einziges Mal – nicht einmal am Rande – erwähnt, geschweige denn, dass sie dort das Wort ergriffen hätten«, lautet die Bilanz in seinem letztjährig erschienenen Aufsatz »Frauen und Bauernkrieg in Tirol« (in: Tiroler Heimat, 88/2024).
Eher randständig
Bereits 1988 hatte die 2018 verstorbene Historikerin Marion Kobelt-Groch zu »Frauen im Bauernkrieg zwischen Anpassung und Auflehnung« geforscht. Ihr Ergebnis: Die »bislang herrschende Vorstellung vom ›Bauernkrieg‹ als einem rein männlichen Ereignis« lasse sich durchaus widerlegen. Andererseits räumt Kobelt-Groch ein, dass Frauen in den Quellen kaum vorkommen und der Bauernkrieg keineswegs »eine unmittelbare Angelegenheit von Frauen« gewesen sei.
Schennach schließt sich ihr in seinem aktuellen Urteil an. »Man kann es drehen und wenden, wie man möchte: Letztlich sind die Sichtbarkeit und das Sichtbarmachen von Frauen während des Bauernkrieges schlicht und ergreifend ein Quellenproblem: Belegstellen, die Frauen auch nur en passant, geschweige denn in ausführlicher Weise erwähnen, sind rar gesät.«
Doch trägt die Geschichtsschreibung nicht eine gewisse Mitschuld? Einst führte der bundesrepublikanische Doyen der Bauernkriegeforschung und Autor zahlreicher Werke zum Thema, Peter Blickle – um von der einengenden Zuschreibung »Bauern« wegzukommen – den Begriff »Revolution des gemeinen Mannes« ein. Was aber, fragte sich die Historikerin und Archivarin Simone Neusüß anlässlich einer regionalen Gedenkveranstaltung zum 500. Jubiläum Mitte März dieses Jahres im Bauernkrieghaus Nußdorf bei Landau, war mit den Frauen? Dass es sie nicht gegeben hat, will Neusüß nicht gelten lassen: »Die radikale Aufbruchsstimmung erfasste auch die einfachen Bäuerinnen und Bürgerinnen.«
»Frauen«, so Neusüß weiter, »unterstützten aktiv Bauernführer.« Doch tut sie sich schwer, Beispiele heranzuziehen. Weibliche Beteiligung gab es, allerdings wurde sie von den Männern entweder nicht registriert oder als selbstverständlich hingenommen, zumal auch in Ausnahmesituationen Frauen nicht in maskulinen Domänen hineindrangen und, wie Martin P. Schennach betont, »ihre Teilhabe trotz allem eher randständig war«.
Das Selbstverständnis der Männer war entsprechend ausgrenzend, ohne Ausnahme. Sofern es, wie Neusüß schreibt, »neben den Rufen nach Freiheit und Brüderlichkeit im Revolutionsjahr 1525 durchaus auch Rufe nach ›Schwesterlichkeit‹« gegeben hat, verhallten diese ungehört. Der Tiroler Revolutionär Michael Gaismair mag ein partnerschaftliches Verhältnis zu seiner Frau Magdalena gehabt haben; weder die Hypothese noch das Gegenteil lässt sich beweisen. Dass in einer der wenigen Gaismairs Autorschaft zuzuordnenden Schriften von »Schwestern und Brüdern« die Rede sein soll, wie Neusüß (sich auf den Südtiroler Historiker Ulrich Ladurner berufend) annimmt, trifft eindeutig nicht zu.
Britta Kägler, Geschichtsprofessorin an der Universität Passau, beklagt, »dass Frauen in Quelleneditionen zum Bauernkrieg faktisch unsichtbar sind«. In einem Vortrag im Mai 2024 an der Universität Salzburg räumte sie ein, »sowohl die Quantifizierung von Frauen im Bauernkrieg als auch die Qualifizierung von weiblichem Handeln« sei schwierig. »Gleiches gilt für eine systematische Suche nach aussagekräftigen Spuren von diesen Frauen.«
Ralf Höller: Die Bauernkriege 1525/26. Vom Kampf gegen Unterdrückung zum Traum einer Republik. Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 2024
Marion Kobelt-Groch: Aufsässige Töchter Gottes. Frauen im Bauernkrieg und in den Täuferbewegungen. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 1993
»Die Frauen des Bauernkrieges«, Regie: Martin Betz, Österreich 2025, 91 Min.
75 für 75
Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Sebastian Gollnow/dpa21.05.2024
»Ich zweifle an der Kompetenz des Bürgermeisters«
- imagebroker/IMAGO18.05.2024
Historikerverband warnt vor persönlicher Diffamierung
- EPA/ROLAND SCHLAGER /dpa - Bildfunk01.10.2022
Der Letzte
Mehr aus: Feuilleton
-
Das große Reinemachen
vom 25.08.2025 -
Bruchstücke und Bausteine
vom 25.08.2025 -
Nachschlag: Jetzt schon Kanon
vom 25.08.2025 -
Vorschlag
vom 25.08.2025 -
Veranstaltungen
vom 25.08.2025