»Viele gehen in den nächsten Jahren in Rente«
Interview: Gitta Düperthal
Durch kurzfristigen Personalausfall im Stellwerk Schöneweide kam es Sonntag vergangener Woche zu Ausfällen der Berliner S-Bahn. Heißt das, dass die Deutsche Bahn AG keinen Ersatz mehr an Personal in Bereitschaft vorhält, um etwa kurzfristige Krankmeldungen aufzufangen?
So ist es. Und das ist kein singulärer Fall. Mitarbeitende der Berliner S-Bahn erleben mittlerweile fast täglich, dass Bahnen aufgrund Personalmangels ausfallen. Es ist auch kein Berliner Problem, sondern ein bundesweites. Wir haben es mit Auswirkungen der Unfähigkeit des Managements der DB AG zu tun. Dabei müsste man dort wissen, wann Personal in Rente geht. Der Konzern hat es nicht geschafft, entsprechend auszubilden und einzustellen. Der Aufsichtsrat hat mehrheitlich versagt. Auch ist es nicht nur ein Problem für das Personal, das bei Arbeit in Wechselschicht ständig Überstunden leisten muss. Weil Menschen deshalb nicht pünktlich und zuverlässig zur Arbeit kommen, entsteht überdies volkswirtschaftlicher Schaden.
Weshalb ist es so kompliziert, bei den Stellwerken Personal einzusetzen, damit keine Züge ausfallen?
Für diese verantwortungsvolle Aufgabe braucht man Kolleginnen und Kollegen, die in einer dreijährigen Ausbildungszeit gut geschult sind und entsprechende Fähigkeiten mitbringen. In den Schaltzentralen geht es darum, Weichen und Signale zu stellen, um Fahrstraßen für Züge so einzurichten, dass der Bahnverkehr pünktlich, sicher und wirtschaftlich läuft. Sie müssen bildschirmtauglich sein und eine gute Auffassungsgabe besitzen. Wie Fluglotsen müssen sie teilweise bis zu neun Bildschirme gleichzeitig bedienen, mitunter in Sekundenschnelle komplexe Entscheidungen treffen.
Verschärft es die Probleme, dass in die Infrastruktur über Jahrzehnte nicht investiert, sondern auf Verschleiß gefahren wurde?
In der Tat. Wir brauchen noch mit gestriger Technik vertrautes Personal, da die teilweise noch aus dem vergangenen Jahrhundert stammt: Signale müssen mit Muskelkraft hochgezogen, Weichen per Handbetrieb gestellt werden. Das ist anstrengende körperliche Arbeit. Es gibt völlig aus der Zeit gefallene Arbeitsbedingungen. Werden obendrein die Gewerkschaften im Bahnbetrieb, wie die GDL und die EVG, durch das Tarifeinheitsgesetz gegeneinander ausgespielt, ist es noch weniger attraktiv, dort tätig zu sein. Dabei ist viel Personal 50 Jahre und älter, wird also in den nächsten Jahren in Rente gehen.
Bei der DB AG wird nichts Maßgebliches unternommen?
Der Vorstandsvorsitzende Richard Lutz und Martin Seiler, Vorstand für Personal und Recht, stehen dafür in der Verantwortung. Statt Beschäftigte, die das eisenbahnerische Know-how haben, auszubilden, weiter zu qualifizieren oder umzuschulen, dulden sie die Entlassung solcher Menschen gerade bei DB Cargo.
Das Deutschlandticket, in Berlin und Brandenburg nicht nur in Bussen und Bahnen des Nahverkehrs nutzbar, sondern auch in manchen Fernzügen, wird es ab Jahresende so nicht mehr geben. Was bundesweit aus dem Ticket 2026 wird: unklar. Wieso ist die Bahn ständig im Abbau?
Damit nicht nur die Fahrgäste geschröpft werden, bedarf es stabiler Subventionen. Es fehlt aber an verbindlich zugesagten Mitteln von Bund und Ländern in ausreichender Höhe, inklusive jährlicher Dynamisierung, um das Ticket langfristig zukunftsfähig und nachhaltig zu machen. Dazu gilt es, eine Strukturkommission mit Vertretern von Bund, Ländern und Kommunen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden einzurichten.
Oft ist vom Kaputtsparen der Bahn die Rede. Welche Maßnahmen fordert die GDL?
Es darf sich nicht immer nur alles um sogenannte Leuchtturmprojekte drehen, wie Stuttgart 21, die zweite Stammstrecke in München, die neue Fernverkehrsröhre in Frankfurt oder einen neuen Fernbahnhof in Hamburg. Zunächst muss das Bestandsnetz auf solide Beine gestellt werden, um den bestehenden Personen- und Güterverkehr abzusichern. Auch muss wegen des Klimawandels noch mehr Personal vorgehalten werden. Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder von der CDU hat für September angekündigt, seine Strategie für die Zukunft der Eisenbahn vorzustellen. Darauf warten wir gespannt.
Lars Jedinat ist stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und unter anderem zuständig für den Bereich Regionalverkehr
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