Normalität in Deutschland
Von Kristian Stemmler
Sie werden beschimpft, bespuckt, bedroht und körperlich angegriffen. Geflüchtete sind in der BRD regelmäßig Ziel rassistischer Attacken. Im ersten Halbjahr verzeichneten die Behörden bisher 648 politisch motivierte Straftaten gegen diese Personengruppe außerhalb von Unterkünften, also täglich im Schnitt drei bis vier Taten, von denen die große Mehrzahl als »rechts« bewertet wurde. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Clara Bünger und ihrer Fraktion Die Linke hervor, die junge Welt am Mittwoch vorlag.
Auf den ersten Blick ist die Zahl solcher Angriffe damit deutlich zurückgegangen, denn im ersten Halbjahr 2024 hatte die Polizei noch 1236 Straftaten gegen Asylsuchende und Geflüchtete außerhalb von Unterkünften erfasst. Doch erfahrungsgemäß ist noch mit Nachmeldungen in erheblichem Umfang zu rechnen. Zudem werden, wie die Linksfraktion anmerkt, viele Straftaten gar nicht zur Anzeige gebracht, weil Betroffene bei der Polizei abgewimmelt würden oder kein Vertrauen in Behörden hätten. Von einer hohen Dunkelziffer sei auszugehen.
Daher ist auch ein Vergleich zwischen den Zahlen, die in der Antwort der Regierung für das erste und zweite Quartal des Jahres vorgelegt wurden, wenig aussagefähig. Auch hier wurde ein Rückgang verzeichnet: Gab es im ersten Quartal 2025 noch 249 politisch motivierte Straftaten gegen Asylsuchende respektive Geflüchtete, waren es im zweiten Quartal »nur« 161. Mit den Nachmeldungen für das erste Quartal, die ebenfalls abgefragt wurden, stieg die Zahl für diesen Zeitraum aber auf 487. Eine ähnlich große Zahl von Nachmeldungen könnte es entsprechend auch noch für das zweite Quartal geben.
Bünger und ihre Fraktion fragten auch nach von den Behörden erfassten Angriffen rechter Täter auf die Unterkünfte Asylsuchender. Für das zweite Quartal 2025 wurden demnach bislang 26 politisch motivierte Straftaten registriert. Dabei wurden sechs Personen verletzt. Im ersten Quartal wurden 30 solcher Attacken gezählt, mit den Nachmeldungen waren es 53, wobei zwei Personen verletzt wurden. Auf eine entsprechende Frage der Linksfraktion listete die Bundesregierung auch Kundgebungen zum Thema Zuwanderung und Asyl auf, an denen »Organisationen extremer Rechter« beteiligt waren. Im zweiten Quartal 2025 verzeichneten die Behörden sieben solcher Demonstrationen, wobei Informationsstände und Flugblattverteilaktionen nicht einbezogen wurden.
Dass es bei den Angriffen auf Geflüchtete und deren Unterkünfte einen Rückgang gegeben hat, sei »kein Grund zur Entwarnung«, betonte Bünger laut Mitteilung vom Mittwoch. Politisch motivierte Straftaten gegen Geflüchtete seien immer noch »Normalität in Deutschland«. Und: »Nach wie vor gehören rassistische Anfeindungen, Bedrohungen und auch körperliche Übergriffe für Menschen, die hier Schutz suchen, zum Alltag«, erklärte die Abgeordnete, die fluchtpolitische Sprecherin ihrer Fraktion ist. Jeder Angriff auf Geflüchtete sei »einer zuviel«.
Die Straftaten gegen Asylsuchende seien auch »Folge einer Politik, die Geflüchtete zum Problem erklärt, anstatt etwas gegen Wohnungsnot, Armut, überschuldete Kommunen und die zerfallende Infrastruktur zu unternehmen«. Indem die Bundesregierung den Sozialetat zusammenkürze, Kommunen belaste und den Reichen Steuergeschenke mache, verschlechtere sie die Lebensbedingungen für die breite Bevölkerung weiter, so Bünger – »und schafft so den Nährboden dafür, dass rassistische Ressentiments verfangen können«.
Um die von solchen Angriffen betroffenen Personen zu unterstützen, brauche es gut ausgestattete und verlässlich finanzierte Beratungsstellen für Opfer rechter und rassistischer Gewalt. Allerdings stehe die Zivilgesellschaft als Trägerin solcher Angebote, so die Linke-Politikerin, »massiv unter Druck – nicht nur von Rechtsaußen, sondern auch von Seiten der Union«.
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Leserbrief von Joachim Becker aus Eilenburg (14. August 2025 um 11:30 Uhr)Es ist beschämend, dass in dieser Gesellschaft diejenigen, also Migrant*innen, Flûchtlinge, die vor Krieg, Hunger, Ausbeutung, Unterdrückung und den Folgen der Klimakatastrophe aus ihren Heimatländern fliehen (müssen), zu Sündenböcken gemacht werden, während sich die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker allen Übels ruhig zurücklehnen können. Aber diese Spaltung der Gesellschaft ist ja bewusst gewollt.
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