»Diese Kontrolle gibt es für kein anderes Fach«
Interview: Max Ongsiek
Was ist der Werteunterricht und wie begründete die hessische Landesregierung die Einführung?
Der im vergangenen Jahr eingeführte Unterricht ist eine Initiative von CDU-Kultusminister Armin Schwarz, der der Meinung ist, Werte wie Höflichkeit haben in den hessischen Schulen bisher zu wenig Beachtung gefunden. Schwarz spricht im übrigen immer von »unseren« Werten – ohne genau zu definieren, was diese sind, wer eigentlich dieses »Wir« ist und von wem diese Werte genau festgelegt werden. In seinem ersten Anschreiben an die Schulen geht es vor allem um Benimmregeln wie »Danke« und »Bitte«, die nicht unbedingt partizipativ gestrickt sein müssen. Der Werteunterricht wird in den sogenannten Willkommensklassen für Migranten und Geflüchtete erteilt – das sind in den allgemeinbildenden Schulen die Intensivklassen und die sogenannten InteA-Klassen an den beruflichen Schulen.
Was ist die Kritik Ihrer Gewerkschaft am Werteunterricht und auch an der Einführung der »Wertvoll-Plattform«?
Intensivklassen gibt es insbesondere an weiterführenden Schulen und an einigen Grundschulen. Die haben 22 Wochenstunden Unterricht, der bereits von 28 heruntergekürzt wurde. Die Gruppengröße beträgt 19 Personen. Und in diesen Klassen werden jetzt zwei Stunden, die für die Deutschförderung vorgesehen sind, für diesen Werteunterricht verwendet. Der ist im übrigen auch der einzige Unterricht in Hessen, der, nachdem er ins Klassenbuch eingetragen wurde, nach Erteilung vom Schulleiter abgezeichnet werden muss. Diese Form der Kontrolle gibt es für kein anderes Schulfach. Alle anderen Klassen, ob an Regelschulen oder in beruflichen Schulklassen, erteilen diesen Unterricht, anders als zunächst angekündigt, nicht. Als Ersatz hierfür gibt es seit vergangener Woche ein Dokument – die sogenannte »Wertvoll-Plattform«. Hierbei handelt es sich um eine Themensammlung, die wichtige und notwendige Partizipationselemente zusammenfasst, die der politischen Bildung und dem sozialen Lernen zuzuordnen sind. Neu ist das aber nicht.
Welches Bild von Geflüchteten sowie zugewanderten Kindern und Jugendlichen transportiert der Werteunterricht?
Es ist das Bild des Zugewanderten, der sich nicht zu benehmen weiß und von »den Deutschen« zu »unseren« Werten erst geführt werden muss, da er das von sich aus noch nicht kann. Das Problem fehlender Werteerziehung wird explizit bei Menschen aus dem Ausland verortet. Und das halte ich für extrem problematisch und ressentimentgeladen.
Hessens Kultusminister Armin Schwarz, CDU, kündigte vor einem Jahr an, den Werteunterricht von Intensivklassen – also Lerngruppen für Schüler mit mangelnden Deutschkenntnissen – auf Regelklassen auszuweiten. Das nahm er jetzt zurück. Warum?
Mittlerweile gibt es eine Arbeitsgruppe im Ministerium. Ich hatte den Eindruck, dass der Minister mit diesem Vorstoß nicht nur uns Lehrer überrascht hat. Man kann an Regelschulen nicht einfach zwei zusätzliche Unterrichtsstunden irgendwo verorten, dafür ist der Stundenplan viel zu dicht und es fehlt das Personal. Wenn man es auf Kosten eines anderen Fachs machen möchte, dann stellt sich die spannende Frage: Welches?
Was schlägt die GEW als Alternative zum Werteunterricht vor?
Tatsächlich findet Werteunterricht an allen Schulen in Deutschland – nicht nur in Hessen – jeden Tag statt. Das soziale Lernen passiert nämlich dann, wenn man gemeinsam arbeitet, gemeinsam Konflikte löst und sich gemeinsam Problemstellungen zuwendet. Das ist eine Querschnittsaufgabe, die in jedem Fach, in jeder Schulstunde in irgendeiner Form mittransportiert wird. Dies zu isolieren halte ich für nicht zielführend. Wir fordern statt dessen mehr Zeit, die wir mit den Schülerinnen und Schülern verbringen können, um uns eben diesem nichtfachlichen Lernen, diesen Soft Skills, zuzuwenden. Lasst uns gemeinsam Zeit mit Schülerinnen und Schülern verbringen, ohne Vorurteile oder zu starre Vorgaben – auch, um die Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen. Lasst uns dafür Fachkräfte gewinnen, die das tun können.
Thilo Hartmann ist Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, GEW, in Hessen
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Herbert K. aus Dieblich (13. August 2025 um 15:54 Uhr)Ich bin Rentner und über 70. Es fiel mir anfangs schwer, Freundlichkeiten junger Menschen zu akzeptieren. Ich wollte nicht alt sein und bin es auch nicht – in meinen Augen. Im Zug bieten mir häufig junge Menschen einen Platz an, und »Danke« sagen meine NachhilfeschülerInnen mehr als deutlich. Sie können das und ihren Eltern ist es wichtig, dass sie das tun. Unter den täglichen Höflichkeiten sind Menschen mit Migrationshintergrund deutlich überrepräsentiert. Dabei bin ich mir bewusst, dass das Merkmal »Migrationshintergrund« nicht wissenschaftlich ist. Vor zwei Monaten waren vier Personen sehr freundlich zu uns: »Darf ich Ihnen meinen Platz anbieten?«, sagte eine junge Frau zu meiner Frau. Der junge Mann neben mir: »Darf ich Ihnen meinen Platz anbieten?«. Eine andere junge Frau neben ihm: »Wenn Ihre Frau mit mir tauscht, können Sie nebeneinander sitzen.« Akzeptiert! Zögerlich nahmen wir Angebot 1–3 an. Vierter und letzter Akt der Freundlichkeit: Ein junger Mann bietet mir an: »Darf ich Ihren Koffer ins Gepäcknetz heben.« Das war zu viel für mich. Nr. 4 bekam einen Korb und das halbe Abteil lachte. Wir dankten allen vieren. Bei drei dieser vier Personen sah ich Merkmale, die auf einen Migrationshintergrund hindeuteten. Die – ich bin hier so undeutlich wie CDU-Kultusminister Armin schwarz mit dem »wir« – brauchen keinen Werte-Unterricht. Aber Herrn Schwarz lege ich ein Anti-Rassismus-Training nahe. Das Phänomen »Rassismus« ist schon lange in Deutschland heimisch; es brauchte nicht importiert zu werden.
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