In staatlicher Obhut
Von Max Grigutsch
Nur auf den ersten Blick sind sich alle einig: Der Tod eines schwarzen Jugendlichen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Ottweiler im Saarland müsse »vollständig« und »lückenlos« aufgeklärt werden. So äußerte sich etwa die saarländische Justizministerin Petra Berg (SPD) am Dienstag nach einer Sondersitzung des Justizausschusses im saarländischen Landtag. »Die im Raum stehenden Vorwürfe« – jene der rassistischen und gewalttätigen Fremdeinwirkung durch Gefängniswärter – seien »sehr gravierend«, sagte sie. Die Landtagsabgeordnete Sevim Kaya-Karadağ erklärte auf jW-Anfrage, in der nichtöffentlichen Sitzung »ein umfassendes Bild der bisherigen Erkenntnisse erhalten« zu haben. Über Einzelheiten könne man wegen »Persönlichkeitsrechten« und »laufender Ermittlungen« nicht berichten, so die SPD-Politikerin.
Die Vorwürfe sind in der Tat gravierend. Der 15jährige Nelson soll am 1. August in der Haftanstalt Suizid begangen haben. Tags darauf demonstrierten 17 Mitgefangene des Jugendvollzugs, erhoben Vorwürfe von Gewalt und Rassismus und widersetzten sich der Rückkehr in ihre Zellen. Der Protest wurde mit Hilfe der Polizei aufgelöst. Wegen Vorwürfen der Körperverletzung, die die Inhaftierten während des Einsatzes erhoben, wird nun gegen zwei Justizbeamte in drei Verfahren ermittelt, wie die Staatsanwaltschaft Saarbrücken auf Anfrage bestätigte.
Auch zum Tod von Nelson kursieren Anschuldigungen im Netz. Laut einem Spendenaufruf soll der Gefangene »mehrfach beleidigt, geschlagen, getreten worden sein – auch rassistisch«. Die Solidaritätsgruppe »Justiz für Nelson« und weitere schrieben am Montag auf der Internetplattform Instagram, der Jugendliche sei »unzureichend mit Essen versorgt« und »von Wärtern brutal zusammengeschlagen« worden; sie gehen nicht von einem Suizid aus. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft läuft derzeit ein Verdachtsprüfungsverfahren auf Basis von Aussagen der Mitinhaftierten, ein JVA-Beamter habe den verstorbenen Gefangenen geschlagen. Die Obduktion habe aber bisher »keine Hinweise auf Fremdeinwirkung« ergeben.
In der zweistündigen Sondersitzung seien »keinerlei Anhaltspunkte« für Rassismus-Vorwürfe gegen Justizbedienstete aufgekommen, sagte der CDU-Abgeordnete Christopher Salm erwartungsgemäß vor Journalisten. Für Kaya-Karadağ sei zudem deutlich geworden, dass das Justizministerium »sofort alle notwendigen Schritte« für eine »Aufklärung mit höchster Priorität« veranlasst habe. Zweifel daran hegt Florian Spaniol, Landeschef von Die Linke im Saarland. Seine Partei hatte »mehr als das bloße Wiederholen von Aktenlagen« erwartet, sagte er dieser Zeitung am Dienstag. »Sollte die Sitzung keine substanziellen Aufklärungsschritte bringen, halten wir die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses für denkbar«, so der Linke-Politiker, der außerdem eine unabhängige Kommission und eine »grundlegende Debatte über die Zustände im saarländischen Justizvollzug« für angemessen hält.
Letztere zu lenken versuchen unterdessen die politisch Verantwortlichen. Die regierende SPD rate, »von pauschalen Vorverurteilungen oder persönlichen Diffamierungen gegenüber Bediensteten der JVA Abstand zu nehmen«, so Kaya-Karadağ zu jW. Eine Vorverurteilung verbaten sich auch Ministerin Berg und CDU-Mann Salm. Die Initiative »Schwarze Menschen in Deutschland« betonte hingegen, dass der Tod des 15jährigen nicht als »tragischer Einzelfall«, sondern als »Teil eines tödlichen Systems, das von strukturellem Rassismus und institutioneller Verantwortungslosigkeit geprägt ist«, zu werten sei. Nelson sei »in staatlicher ›Obhut‹« gestorben, heißt es in der Mitteilung vom Dienstag. Die Kampagne »Death in Custody« (Deutsch: Tod in Gewahrsam) hat von 1990 bis 2024 insgesamt »266 Todesfälle von rassistisch unterdrückten Personen in Haft, Gewahrsam oder durch Polizeigewalt« dokumentiert.
75 für 75
Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Becker&Bredel/IMAGO29.01.2025
»Vor Ort ist man Einzelkämpfer«
- Karl-Josef Hildenbrand/dpa20.12.2024
24 Tage im »Bunker«
- Thomas Frey/dpa22.06.2023
Ermittlung voller Defizite
Regio:
Mehr aus: Inland
-
»Diese Kontrolle gibt es für kein anderes Fach«
vom 13.08.2025 -
Tortur hinter Gittern
vom 13.08.2025 -
Vitamin-B-Missbrauch
vom 13.08.2025 -
Die große Luftnummer
vom 13.08.2025