Staatstrojaner: Zügel bleiben locker
Von Kristian Stemmler
Ermittler dürfen weiter heimlich auf Computern und Smartphones herumschnüffeln, Mails oder Chatverläufe mitlesen – und das künftig mit höchstrichterlichem Segen. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat den Einsatz sogenannter Staatstrojaner, wie die von staatlichen Stellen auf Endgeräten installierte Schadsoftware auch genannt wird, in einem am Donnerstag publizierten Beschluss für weitgehend verfassungskonform erklärt. Lediglich den Katalog der Straftaten, die die Behörden zu diesem Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung ermächtigen, dampfte das Gericht ein.
»Ausgehend von dem sehr hohen Eingriffsgewicht«, so die Richter, müsse die im Beamtendeutsch Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) genannte Maßnahme aus »Gründen der Verhältnismäßigkeit« auf die Verfolgung besonders schwerer Straftaten beschränkt sein. Die auch der Umgehung der Verschlüsselung digitaler Kommunikation dienenden Staatstrojaner dürfen demnach nur noch zur Aufklärung von Taten wie Mord oder Hochverrat installiert werden. Bei Straftaten, für die eine Höchstfreiheitsstrafe von drei Jahren oder weniger vorgesehen ist, etwa Drogendelikte, dagegen nicht mehr. Eine zweite Verfassungsbeschwerde, die sich gegen das Polizeigesetz von Nordrhein-Westfalen richtete, wurde von Karlsruhe komplett zurückgewiesen. Das Gesetz lässt den Einsatz von Staatstrojanern zu, sobald es um Straftatbestände mit einer Höchstfreiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren geht.
Für seine Entscheidung ließ sich Karlsruhe viel Zeit. Beide Verfassungsbeschwerden waren bereits vor Jahren von Digitalcourage e. V. initiiert und von zahlreichen Personen – darunter Anwälte und Journalisten – unterstützt worden. Im Jahr 2018 hatte der Verein gegen die Aufnahme der Staatstrojaner in die Strafprozessordnung geklagt, die ein Jahr zuvor beschlossen worden war. 2019 folgte die Beschwerde gegen das Polizeigesetz von NRW. Begründet wurden die Beschwerden unter anderem damit, dass die Spionagesoftware auf den Geräten über Sicherheitslücken installiert werde, die auch von Geheimdiensten und Kriminellen genutzt werden können.
Wie locker die Zügel auch mit der neuen Einschränkung bleiben, lässt sich anhand der Reaktion der Polizeilobby ablesen. Karlsruhe habe die Verfassungsmäßigkeit und Notwendigkeit von Staatstrojanern bestätigt, erklärte Jochen Kopelke, Bundesvorsitzender der sogenannten Gewerkschaft der Polizei (GdP). So werde sichergestellt, »dass wir auch künftig schwerste Straftaten effektiv bekämpfen können«, behauptete er. Rainer Wendt, berüchtigter Chef der Berufsvereinigung Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG), erklärte, die Entscheidung der Verfassungsrichter stelle sicher, »dass der Rechtsstaat die Bevölkerung vor den Gefahren des Terrorismus und gleichzeitig ihre Grundrechte schützen kann«.
Digitalcourage zeigte sich am Donnerstag in einer Mitteilung erfreut über die Beschlüsse, wohl auch aus Zweckoptimismus. Der Verein habe »erneut Rechtsgeschichte geschrieben« und das Verfassungsgericht eine »klare Grenze« für den Einsatz von Staatstrojanern gezogen, mit »weitreichenden Folgen für staatliche Überwachungsbefugnisse«. Die Linke-Fraktion im Bundestag sprach dagegen von einem »Teilerfolg für den Schutz der Grundrechte«. Es sei »ernüchternd, dass der Einsatz digitaler Überwachungsinstrumente nicht umfassender eingeschränkt wurde«, erklärte Donata Vogtschmidt, Sprecherin der Fraktion für Digitalpolitik und Cybersecurity.
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