Bierstreik im Osten
Von Susanne Knütter
Sie machen alle das gleiche. Nämlich aus Wasser, Hopfen und Malz Bier. Doch die Lohnunterschiede sind erheblich. In München, wo die Brauer bundesweit am meisten bekommen, beträgt der tarifliche Ecklohn 4.558 Euro im Monat bei einer Arbeitszeit von 38 Stunden pro Woche. In den vier Radeberger-Betrieben in Sachsen erhalten die Kollegen bei 38,2 Wochenstunden gut 500 Euro weniger. In Berlin erhalten die Brauer 400 Euro weniger. Dagegen haben die Beschäftigten in den letzten Wochen immer wieder gestreikt. In Sachsen sogar das erste Mal seit 30 Jahren.
Am Mittwoch haben sich auch die Beschäftigten der ältesten Brauerei Sachsens der Streikbewegung angeschlossen. Nach der Radeberger, der Sternburger, der Krostitzer und der Freiberger Brauerei, die alle zur Radeberger Gruppe innerhalb des Oetker-Konzerns gehören, haben nun die Kollegen von Wernesgrüner (Carlsberg-Gruppe) das erste Mal seit Ende der DDR die Arbeit niedergelegt. Mit ihnen streiken auch die Carlsberg-Logistiker in Wernesgrün. Lenkt die Unternehmerseite bei der nächsten Verhandlungsrunde am 14. August nicht ein, stehen bei der Traditionsbrauerei im sächsischen Vogtland weitere Streiktage an, versicherte Thomas Lißner, Geschäftsführer der NGG-Region Dresden-Chemnitz, am Dienstag. »Seit 1516 gibt es in Deutschland beim Bier das Reinheitsgebot, auf das Einheitsgebot warten wir noch.« Der tarifliche Monatslohn bei Wernesgrüner liegt mehr als 300 Euro unter dem anderer Brauereien der Carlsberg-Gruppe, zu der neben Wernesgrüner auch Marken wie Holsten, Astra und Lübzer gehören. Zudem wird in Sachsen wöchentlich noch 1,5 Stunden länger gearbeitet. Selbst innerhalb des Tarifgebietes Sachsen-Thüringen bildet Wernesgrüner neben der Köstritzer Brauerei das Schlusslicht. Dabei gehört die 1436 gegründete Wernesgrüner Brauerei mit heute rund 140 Beschäftigten nach Unternehmensangaben zu den modernsten und erfolgreichsten Brauereien in den neuen Bundesländern.
Während in den Tarifgebieten im Westen die Verhandlungen bereits abgeschlossen sind, hat der sächsische Unternehmerverband in den laufenden Tarifverhandlungen noch kein Angebot vorgelegt. Die NGG fordert ihrerseits sieben Prozent mehr Lohn, mindestens aber 300 Euro mehr, bei einer Laufzeit von einem Jahr. Das »Braukombinat Ost« in Sachsen bekommt für die gleiche Arbeit über 8.000 Euro im Jahr (ohne Zulagen und Zuschläge) weniger als die allermeisten Kolleginnen und Kollegen im Westen, erklärte Uwe Ledwig, Verhandlungsführer der Gewerkschaft NGG Ost. Die Unternehmerseite berufe sich bei diesen Unterschieden auf »historische« Gründe. »Wie sollen wir das verstehen?« fragte Ledwig. »Die bestehende Ost- West-Lohnlücke soll auch nach 35 Jahren deutscher Einheit nicht kleiner werden?«
Nach der »Wende« haben große Braukonzerne im Osten Brauereien übernommen und großteils geschlossen. So gibt es beispielsweise in Berlin von vormals 15 Brauereien noch drei. Um einige wenige Arbeitsplätze zu erhalten, verzichteten Brauer auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld und nahmen kürzere Arbeitszeiten – ohne Lohnausgleich – in Kauf.
Für die Ostberliner Brauerei der Radeberger-Gruppe findet am Freitag bereits die fünfte Verhandlung statt. Auch da liegt nach Angaben der NGG bisher kein akzeptables Angebot vor, obwohl die Kollegen 4.000 Euro im Jahr weniger bekommen. Und auch der sechste Oststandort des Oetker-Konzerns in Rostock wird »historisch« schlechter bezahlt, so Ledwig. Dort sind es sogar über 11.000 Euro im Jahr weniger. Hier fand in der letzten Woche die erste Verhandlung statt, ohne akzeptables Angebot. Ledwig zog am Dienstag Bilanz: In den sechs Betrieben des »Braukombinat Ost« fielen bisher 60 Schichten aus, über 40 Millionen Flaschen Bier wurden nicht abgefüllt. Mit den Streiks am Mittwoch wurde der Druck noch einmal erhöht.
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