»Kiel braucht diese Wohnungen dringend«
Interview: Kristian Stemmler
Vor kurzem wurde publik, dass die Bundesmarine ihren Standort in Kiel erweitern will und ein Auge auf das sogenannte MFG-5-Gelände in Holtenau Ost geworfen hat. Welchen Hintergrund hat das?
Die Marine war schon einmal Besitzerin des Geländes. Dort war das Marinefliegergeschwader 5 stationiert, daher der Name MFG 5. Dieses ist dann abgezogen und die Stadt Kiel hat das Gelände 2020 erworben. Jetzt ist ein Rückkauf des MFG-5-Geländes im Gespräch. In der lokalen Presse wurde auch behauptet, dass die Bundeswehr ein vertraglich festgelegtes Rückkaufrecht für das Areal hätte. Das hat sich aber als Ente herausgestellt. Ab September stehen Gespräche zwischen der Stadt und der Bundeswehr dazu an, die bis Ende des Jahres abgeschlossen sein sollen. Die Marine plant, einen riesigen Militärhafen zu bauen.
Nun gibt es längst andere Pläne: Das MFG-5-Areal ist Bestandteil des »Sanierungsgebiets Holtenau Ost«, das auf der Homepage der Stadt als »Sahnestück der Stadtentwicklung« bezeichnet wird. Was ist hier konkret geplant?
In Holtenau Ost ist das wichtigste Stadtentwicklungsprojekt Kiels geplant. Es sollen 2.250 Wohnungen in Mehrfamilienhäusern entstehen, die 5.000 Menschen ein Zuhause bieten würden. Rund 1.000 Wohnungen davon sollen auch für Menschen mit weniger Geld erschwinglich sein. Die Stadt Kiel ist eine sehr flächenarme Stadt und braucht diese Wohnungen dringend. Die Lage auf dem Wohnungsmarkt ist katastrophal. Die Mieten explodieren und schon jetzt haben rund 5.000 Menschen keine eigene Wohnung, müssen also von der Stadt untergebracht werden. Außerdem sind Gewerbeflächen geplant, mit denen Arbeitsplätze entstehen würden, die für Kiel ebenso wichtig sind.
Die Linke wendet sich entschieden gegen den Rückkauf des Geländes durch die Marine. Warum?
Ich halte es für unverantwortlich, das Gelände wieder zu verkaufen. Die Lage auf dem Wohnungsmarkt würde sich dann weiter zuspitzen. Ich erwarte vom Oberbürgermeister und von der Ratsversammlung, dass sie sich glasklar gegen den Verkauf stellen. Wenn das Gelände verkauft wird, hat die Bundeswehr angekündigt, dort eine Milliarde Euro zu »investieren«. Wir brauchen dieses Geld dringend für Investitionen in Schulen und Kitas in der Stadt. Hier beträgt der Sanierungsstau mittlerweile ebenfalls ungefähr eine Milliarde Euro. Es ist obendrein zu befürchten, dass sich Wohnungsbau in Kiel und Umgebung weiter verzögert, weil die Bundeswehr alle Baufirmen auslastet.
Die SPD und die Grünen im Stadtrat meinen, man könne Bundeswehr und Städtebau in Holtenau Ost vereinen. Die CDU verweist auf Suchsdorf-West als Alternative für den Wohnungsbau. Was sagen Sie dazu?
Eine Mischnutzung des Geländes ist eine Nebelkerze. Wenn dort ein Marinehafen entsteht, in dem 20 Schiffe und 2.000 Soldaten stationiert werden, wird dort aus sicherheitstechnischen Gründen und wegen Lärmschutz kein Wohnungsbau mehr möglich sein. Suchsdorf-West ist vom Land Schleswig-Holstein als schützenswerter Grünzug eingestuft worden. Und selbst wenn man dort jetzt zu planen beginnt, würde die Entwicklung viel zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Eine Untersuchung hat ergeben, dass in Holtenau Ost die Hälfte des Wohnungsbaupotentials von Kiel steckt. Das kann man auf anderen Flächen gar nicht ausgleichen.
Ihnen geht es nicht nur darum, dass ein städtebauliches Projekt gefährdet ist. Sie kritisieren das Vorhaben der Marine auch als Ausdruck der Militarisierung der Gesellschaft.
Es wird unvorstellbar viel Geld für Aufrüstung zur Verfügung gestellt. Im Haushaltsausschuss des Bundestags, dem ich angehöre, wird ein Aufrüstungsprojekt nach dem anderen einfach durchgewinkt. Neben dem Sondervermögen wird ja auch der reguläre Haushalt enorm durch den Aufwuchs im Bereich Verteidigung eingeschränkt. Die Rechnung dafür zahlen wir alle, denn wegen der Schuldenbremse wird dann im Sozialen gekürzt. Unendlich viel Geld für die Bundeswehr zur Verfügung zu stellen, während man gleichzeitig andere soziale Ausgaben zusammenstreicht, gefährdet den gesellschaftlichen Frieden.
Tamara Mazzi ist Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke aus Kiel
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Leserbrief von Peter Groß (31. Juli 2025 um 15:52 Uhr)Um Kriegstüchtig zu werden, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein. Das Volk muss ins Elend gestürzt werden. um für ’nen Appel und ’n Ei, 2.000 Euro brutto und ein Zimmer (derzeit mit Doppelbelegung) gegen die Russen in den Krieg zu ziehen. Da ist Deutschland mit dem Abbau von Sozialleistungen zügig dabei, um den Raubzug für Bodenschätze zu ermöglichen. Erinnern wir uns an die USA. Sie verfügen in Deutschland über eine eigene stark verbilligte Vertriebsstruktur für Einkäufe. Also bereitet man gute Angebote beispielsweise an der Ostfront, Litauen oder der Ukraine vor. Wohnungs- und Infrastrukturprogramme sind geplant, ausfinanziert und auch die vollständige Kostenerstattung für ukrainische Eigenheimbesitzer ist in vollem Gange. In Litauen wird oder wurde eine komplette Siedlung für Bundeswehr-Soldaten und -Anghörige erstellt. Also Raum für 5.000 Soldaten und Angehörige. Mit Kindergarten, Schulen, Shopping Malls. Warum schreibt darüber nur keiner? Also wozu in Kiel oder der baden-württembergischen Provinz Wohnungen bauen, wenn das ewig lange Transportverbindungen erzwingt? Bahn oder Autobahnen werden für tonnenschwere Panzer ertüchtigt. Nur das dauert und ist teuer. Unsere nationalsolizialistischen Vorfahren waren da viel auskunftsfreudiger und kreativer. Sie schafften mit »Bauernland in Junkerhand« jene Anreize, die die Eroberung des Ostraums, später den Russland-Feldzug erst möglich machten. Ich fürchte, die Rüstungsbauer werden mit ihren Familien bald umziehen müssen. Alle Rüstungsunternehmen und Tüftler betreiben Kooperationen, weil wenig Neigung besteht, das »Ländle«, speziell die Bodenseeregion, zum Kriegsziel zu machen. Wo in einem Land annähernd knapp 50 Prozent der Bevölkerung aus Single-Haushalten und Einsamkeitsbetroffenen bestehen, wo in Studentenstädten tausendfach Wohnungen errichtet werden, die nicht größer als Mönchzellen sind (aktuell im Saarland), da wird weder die Geburtenrate steigen noch die Verbindung zu einem irgendwie gewachsenen Quartier stattfinden.
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (30. Juli 2025 um 21:58 Uhr)So wird das »Sozialstaatsmodell« systematisch unterminiert, die »Demokratie« bedenkenlos demontiert, die »Zivilgesellschaft« rücksichtslos liquidiert und ganz Deutschland endgültig ruiniert. Alles für den nächsten Krieg; den mit hoher Wahrscheinlichkeit dann wohl letzten in Europa.
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