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Aus: Ausgabe vom 18.07.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Iran

À la carte gibt’s nicht

Westliche Medien spekulieren über iranische Waffenkäufe insbesondere in China. Viel Substanz haben diese Meldungen nicht
Von Knut Mellenthin
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Effektive Luftverteidigung mit diesem Gerät? Iran soll Interesse haben (chinesisches Luftabwehrsystem HQ-9, Militärparade zum 70. Jahrestag der Ausrufung der Volksrepublik China, Beijing, 1.10.2019)

Der Iran, so berichtete Spiegel Online am Montag, wolle »nach den verheerenden israelischen Angriffen« im Juni »seine Flugabwehr neu aufstellen«. Und weiter: »Hilfe könnte aus China kommen, aber auch Moskau hat moderne Technik zu bieten«. Letzteres stimmt zwar eindeutig, sagt aber über den aktuellen konkreten Sachverhalt nichts aus.

Potentielle Waffenlieferungen der beiden großen »strategischen Verbündeten« und erst recht Spekulationen über eine noch weitergehende militärische Unterstützung gegen die Allianz aus Israel und den USA sind für westliche Medien naturgemäß ganz große Themen, die reichlich bespielt werden. Da bleibt viel Platz für heiße Luft und Phantasie, aber richtig was für die Zähne ist selten in der Suppe. Es regieren der Konjunktiv (»könnte«) und das Zauberwort »offenbar«, das auch schon mal in zwei Sätzen direkt hintereinander eingebaut wird. Früher signalisierte es einen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit. Heute tarnt es überwiegend journalistische Defizite an Stellen, wo ehrlicherweise das altmodische Wort »angeblich« stehen sollte.

Spiegel Online eröffnete seine Darstellung am Montag mit der Headline »Jets gegen Öl« und der Oberzeile »Iran rüstet wieder auf«. Dazu war ein Foto gestellt, das laut Bilderklärung ein chinesisches Kampflugzeug vom Typ J-10B zeigt. Also eine Entwicklungsversion zwischen der ursprünglichen J-10A, die 1998 ihren Erstflug absolvierte und 2006 bei den Streitkräften eingeführt wurde, und der gegenwärtig dominierenden J-10C. Von dieser ist aktuell viel die Rede, seit Jets dieses Typs im Dienst der pakistanischen Luftwaffe bei viertägigen Kämpfen im Mai über Kaschmir angeblich fünf indische Gegner abschossen. Drei davon sollen vom »hochmodernen« französischen Typ Rafale gewesen sein. Indien hat der pakistanischen Darstellung widersprochen, aber das tut der Begeisterung der Amateuringenieure in den sogenannten sozialen Medien keinen Abbruch.

Zwar wird die J-10C öfter mal im Zusammenhang mit angeblichen iranischen Kaufwünschen genannt, über deren Realitätsgehalt ist damit aber nichts ausgesagt. Doch im Bericht von Spiegel Online ging es – kleiner Schönheitsfehler – trotz Headline und Foto gar nicht darum. Sondern um ein »offenbares« Interesse Teherans am chinesischen Flugabwehrsystem HQ-9. Das bisher – zusammen mit eigenen Konstruktionen – vom Iran hauptsächlich genutzte russische System S-300 habe bei den Angriffen im Juni »gegen die Übermacht der israelischen Luftwaffe versagt« und sei »ausgeschaltet« worden. Hinzu komme, dass die Russen »wegen ihrer eigenen Bedürfnisse in der Ukraine nicht die Kapazitäten« hätten, »um die entsprechenden Stückzahlen zu liefern«. Außerdem sei die Regierung in Teheran von der in Moskau »enttäuscht«, weil die Schwierigkeiten bei der vereinbarten Lieferung des Kampfjets SU-35 mache. So erzählt es der Spiegel, so kann man die Geschichte auch anderswo lesen.

Ob China unter den gegenwärtigen Umständen seine bisherige Zurückhaltung aufgibt und bereit ist, das HQ-9, die J-10C oder andere Waffen an Iran zu verkaufen und damit indirekt zur Konfliktpartei zu werden, ist höchstens eine offene Frage. Aber das hinderte weder »alternative« noch herkömmliche Medien daran, am 7. Juli zu behaupten, es seien schon Lieferungen von HQ-9-Abwehrraketen im Iran angekommen. Erster Ausgangspunkt dieser weitverbreiteten Meldung war anscheinend das Internetportal Middle East Eye.

Einen Tag später folgte ein Dementi der chinesischen Botschaft in Tel Aviv: Der Inhalt des Berichts sei »nicht korrekt«. »Aus Prinzip ist China gegen die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und deren Trägersystemen. China exportiert niemals Waffen in kriegführende Länder und übt strenge Kontrollen über den Export von Dual-Use-Gegenständen aus.« Die oft als »halboffiziell« bezeichnete iranische Nachrichtenagentur Mehr hatte unter Berufung auf »eine informierte Quelle« schon am 28. Juni erklärt, Spekulationen »einiger unzuverlässiger Medien« über den Erwerb chinesischer Waffen seien »Fake News, die vom zionistischen Regime verbreitet wurden«.

Der ursprüngliche Auslöser der Gerüchte war denkbar normal und harmlos: Irans Luftwaffenchef hatte sich im November vorigen Jahres beim Besuch der alle zwei Jahre in Zhuhai stattfindenden größten Luftshow Chinas ein Exemplar der J-10C näher angesehen. Bilder davon waren ins Internet gelangt. Außerdem war er mit seinem chinesischen Gegenüber zusammengetroffen, um – wie es damals offiziell hieß – »Meinungen über die bilateralen Beziehungen auf verschiedenen Gebieten auszutauschen«.

Medien aller Art stellen es oft so dar, als könne der Iran (oder irgendein anderer Staat) seine Waffen wie in einem Restaurant frei von Karte wählen. Das ist aber, für China gilt das noch mehr als für Russland, durchaus nicht so. Und ob es nun russische SU-35-Flieger sind, deren Lieferung Moskau angeblich in die Länge zieht, oder die J-10C: In der Regel wird die Frage vergessen, was sie den iranischen Streitkräften nutzen könnten. Selbst bei technischer Gleichwertigkeit der Maschinen wären iranische Piloten ihren israelischen und US-amerikanischen Gegnern mit deren Tausenden Flugstunden Erfahrung chancenlos unterlegen.

Hintergrund: Nicht treffsicher

Die Luftwaffen Israels und der USA haben bei ihren Angriffen auf Nuklearanlagen und andere iranische Ziele im Juni kein Kampfflugzeug verloren. Etwas anderes behauptet auch die iranische Seite nicht, die jedoch von mehr als 60 abgeschossenen israelischen Drohnen spricht, während Israel nur den Verlust von zwei Hermes-Drohnen angibt.

Sehr viel erfolgreicher wollen die iranischen Streitkräfte bei ihrem »Vergeltungsschlag« am 1. Oktober 2024 (»True Promise II«) gewesen sein: 20 israelische Düsenjäger vom Typ F-35 seien damals durch Raketentreffer in ihren Hangars zerstört worden, erklärte ein Sprecher der Revolutionsgarden.

Einen derart großen Verlust geheimzuhalten, wäre aber in Israel praktisch unmöglich. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass seine Luftwaffe in den letzten Jahren wirklich nur einen einzigen Flieger durch feindliche Luftabwehr eingebüßt hat. Der Zwischenfall ereignete sich am 10. Februar 2018 über Syrien: Eine F-16 wurde durch eine S-200-Rakete zerstört, die noch aus der Sowjetzeit stammte.

Das Ereignis wurde in Syrien und weltweit in alternativen Medien als »Gamechanger« gefeiert. Die libanesische Hisbollah interpretierte es als Beendigung der jahrzehntelangen israelischen Luftüberlegenheit. Im Rückblick ist eindeutig, dass das eine Illusion war.

Im Kräftemessen zwischen westlichen Kampfflugzeugen und nahöstlicher Luftverteidigung – die israelischen und US-amerikanischen Systeme ausgenommen – hat sich das Übergewicht stark verschoben. Im »Abnutzungskrieg« am Suezkanal (Juli 1967–August 1970), der sich an den Sechstagekrieg im Juni 1967 anschloss, verlor die israelische Luftwaffe 20 bis 30 Jets. Im Oktoberkrieg 1973 wurden nach Angaben Israels rund 100 seiner Kampfflugzeuge zerstört. Zum Vergleich: Während ihres Vietnamkrieges verloren die USA fast 3.800 Kampfflugzeuge. Ursache war überwiegend Abschuss durch die Luftverteidigung, die die Sowjetunion geliefert hatte. (km)

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