Klare Worte, nicht mehr
Von Jörg Kronauer
Im Gegensatz zum westlichen Tenor hat Beijing den USA vorgeworfen, mit den Angriffen auf Atomanlagen im Iran den Konflikt im Nahen Osten anzuheizen. »China ruft alle Konfliktparteien, vor allem Israel, dazu auf, das Feuer so schnell wie möglich einzustellen«, hieß es in einer Erklärung des Außenministeriums vom Sonntag. Schon zuvor hatte sich Präsident Xi Jinping am Donnerstag in einem Telefongespräch mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin deutlich zum Iran-Krieg geäußert. Beide Kriegsparteien, »besonders« aber Israel, müssten so schnell wie möglich die Waffen schweigen lassen, um jegliche weitere Eskalation zu vermeiden. Zudem müssten »Großmächte«, die speziellen Einfluss in der Region hätten – gemeint waren die USA –, sich darum bemühen, »die Lage abzukühlen«, nicht das Gegenteil. Ähnlich hatte Xi sich schon zuvor am Rande des China-Zentralasien-Gipfels geäußert. Außenminister Wang Yi wiederum hatte am 14. Juni Israels Überfall auf Iran sogar »inakzeptabel« genannt. Zu mehr als deutlichen Stellungnahmen jedoch, zu praktischer Unterstützung für Teheran, ist Beijing nicht bereit. Warum?
Zunächst: Der Iran-Krieg ist – mal ganz abgesehen davon, dass er der nächste Waffengang ist, in dem zahllose Menschen sterben und in dem dramatische Schäden angerichtet werden – in mehrfacher Hinsicht nachteilig für China. Dabei geht es gar nicht mal so sehr um das Öl, das die Volksrepublik aus Iran bezieht. Ihr größter Öllieferant ist Russland. Aus Iran erhielt sie zuletzt wohl rund 45 Millionen Barrel pro Monat; das war weniger, als sie aus Saudi-Arabien importierte – im Mai Schätzungen zufolge 48 Millionen Barrel. Fiele diese Menge kriegsbedingt weg, könnte wohl problemlos Ersatz beschafft werden, wenngleich vermutlich zu einem höheren Preis. Ernste Probleme drohen allerdings, falls der Krieg weiter eskaliert und Teheran versuchen sollte, die Straße von Hormus mit Minen zu blockieren. Dann kämen auch Öl- und Flüssigerdgaslieferungen aus anderen Golfstaaten nicht mehr durch. China kauft zur Zeit rund die Hälfte seines Öls am Persischen Golf.
Schwerer wiegt, dass China einen erprobten Kooperationspartner zu verlieren droht. Iran ist Teil der »Neuen Seidenstraße«. Beijing und Teheran haben 2021 ein Abkommen geschlossen, das auf 25 Jahre eine enge Zusammenarbeit vorsieht. Iran ist 2023 der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) beigetreten, 2024 dann auch den BRICS. Außerdem haben beide Seiten ihre militärische Kooperation intensiviert. Eine erste gemeinsame Marineübung hielten sie im Jahr 2014 ab; 2016 unterzeichneten sie eine Vereinbarung über gemeinsame Manöver. Im März führten China, Iran und Russland bereits im fünften Jahr gemeinsame Marineübungen durch. Unterstützung bei der Entwicklung von Raketentechnologie hatte China Iran in den 1980er und 1990er Jahren geleistet, sie allerdings laut Berichten von US-Thinktanks im Jahr 2005 eingestellt.
Auch wenn es für Beijing schmerzlich wäre, Teheran zu verlieren: Das Fachportal Foreign Policy urteilte kürzlich, antichinesische Hardliner in Washington stellten die Bindungen zwischen China und Iran enger dar, als sie es seien – und es hat damit vermutlich recht. Es spricht doch einiges dafür, dass die Beziehungen zu Saudi-Arabien und zu den Vereinigten Arabischen Emiraten für die Volksrepublik wichtiger sind; allein in Saudi-Arabien haben Unternehmen aus der Volksrepublik in den Jahren 2005 bis 2024 über 50 Milliarden US-Dollar in Infrastrukturmaßnahmen investiert, deutlich mehr als in Iran, wo die Investitionen zwischen 2018 und 2022 kaum mehr als 600 Millionen US-Dollar erreichten. Investitionen in Hightechvorhaben in Saudi-Arabien und den Emiraten, etwa der Aufbau von 5G-Netzen mit Technologie von Huawei, kommen hinzu.
Direkte Unterstützung für Iran wäre außerdem äußerst heikel, weil China damit in einem Krieg offen gegen US-Interessen Position beziehen würde, und nun nach der US-Intervention sogar gegen die USA selbst. Das jedoch würde den Konflikt zwischen Washington und Beijing gefährlich eskalieren. Umgekehrt verschwenden die USA schon jetzt Kräfte in Nahost, die sie ansonsten gegen die Volksrepublik nutzen könnten. In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass Washington eine Flugzeugträgerkampfgruppe um die USS »Nimitz« in den Persischen Golf verlegt. Zuvor hatte sie im Südchinesischen Meer operiert.
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