Rotlicht: Alphamann
Von Felix Bartels
Wer Alpha ist, ist vorn. Wer vorn ist, ist oben. Der Alphamann leitet sich ab vom Alphatier, einem Begriff aus der Verhaltensforschung. Bei Tieren, die über die Familie hinaus soziale Gruppen bilden, hat Arbeitsteilung hierarchische Gestalt. Im Rudel oder der Herde stehen unter dem Alpha einige Betas, und unter denen einige Omegas. Das Gefüge aus Leit- und Leidtier ergibt sich weniger aus der Fähigkeit, das Ziel der Gruppe zu erreichen, als vielmehr aus der, sich in ihr durchzusetzen, was beim Rudel nur deswegen kein Problem ist, als Gruppenziel und Gruppendynamik – Jagd und Hahnenkampf – ähnliche Skills erfordern.
Übertragungen biologischer Mechanismen auf soziale Beziehungen scheinen problematisch, da das Soziale darin simplifiziert wird. Analog zum Anthropomorphismus ließe sich von Zoomorphismus sprechen, einer Projektion animalischer Elemente auf den Menschen. Die oft der Bewältigung von Affekten dient, im Fall des Alphamanns speziell sexueller. Wer sich als Alpha betrachtet, fühlt in aller Regel misogyn. Gleichwohl sind Mensch und Tier nicht schlechthin getrennt. Der Mensch behält seine biologischen Anteile, manche Tierarten bilden basale soziale Strukturen.
So betrachtet ist der Alphamann mehr als eine Analogie. In ihm scheint ein bestimmtes männliches Verhalten in sozialen Situationen beschrieben, das von denen, die den Begriff emphatisch gebrauchen, für echt/ursprünglich/eigentlich männlich gehalten wird. Die Fähigkeit zur Durchsetzung aber ist ebenso eine Form der Kooperation, wie sie von ihr unterschieden werden muss. In sozialen Gruppen – Familie, Peergroup, Arbeitskollektiv, Vereine, Parteien, Sportmannschaften – sind Kooperation und Konkurrenz verwoben. Arbeitsteilung erscheint auch hier in Form der Hierarchie. Eine Fußballmannschaft kann nicht aus elf Spielmachern bestehen. Beim Menschen ergibt die Hierarchie sich aber nicht allein aus der Fähigkeit zur Durchsetzung, sie ergibt sich ebenso, und idealerweise vor allem, aus der Fähigkeit, das Ziel der Gruppe zu erreichen. Womit soziale Gruppen des Menschen in Form und Dynamik denn auch komplizierter sind als die von Tieren gebildeten. Die Alpha-Beta-Omega-Struktur wird mindestens ergänzt durch den freien Solitär, der außerhalb des Gefüges zu stehen scheint, aber dessen notwendiges Element ist. Agamemnon brauchte Achill, so sehr der ihm ein Ärgernis war. Eine andere Nuance wäre der Beta-Alpha, der Anführer aus den Reihen der Betas. Er versteht es, die Ressentiments gegen den Alpha zu nutzen. So wie Stalin gegen Trotzki die Furcht vor einem kommenden Bonapartismus.
Solche und weitere Differenzen ergeben sich daraus, dass die affektiven Komplikationen beim Menschen ausgeprägter sind und die Konflikte hier einen geistigen Anteil besitzen. Nicht Triebstruktur allein, das Neben- und Gegeneinander narzisstischer und triebhafter Strukturen regiert das Verhalten in menschlichen Gruppen. Sexualität und Durchsetzung gegen Konkurrenten können beim Menschen auch separat sein. Insofern lassen sich zeitgenössische Bewegungen als regressiv verstehen, als Rückfall gewissermaßen ins Tierreich, denn in den berüchtigten Ermächtigungsseminaren der Manosphere werden sexueller und gesellschaftlicher Erfolg miteinander identifiziert. Das schließt die vermeintlich bloß sexuell orientierten Pick-up-Artists ein, die ebenso auf einer ideologischen Grundlage stehen, die die Wiederherstellung echter Männlichkeit vorsieht. Alles dreht sich darum, dass Frauen verführt werden sollen, weil sie geführt werden wollen. Die eigentliche Beute des Pick-up-Artists sind allerdings jene Männer, die er mit dem Versprechen lockt, Frauen zur Beute machen zu können. Im »Alpha Mentoring«-Seminar des Rappers Kollegah wurde die Identifikation sexueller und gesellschaftlicher Ziele deutlich ausgesprochen. Libertäre und konservative Ideologie gingen verschränkt. Körperliche Fitness, bosshaftes Auftreten, sexuelle Dominanz, Bescheidwisserei sind die Elemente, die den neuen Mann von gestern konstituieren.
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