Die Kunst dem Volke!
Von F.-B. Habel
Nicht von ungefähr heißt die von Regisseur Andreas Dresen gegründete Filmfirma »Iskremas«. Das ist eine russische Abkürzung und steht für einen Slogan, der auf deutsch »Die Kunst der Revolution den Massen« lautet. Der kunstbesessene Wanderschauspieler Wladimir, der in den Revolutionsjahren um 1920 mit einem Thespiskarren und Moskau als Ziel umherzieht, wählt sich Iskremas als Künstlernamen. Er ist die Hauptfigur der Tragikomödie »Leuchte, mein Stern, leuchte« (1970), die 1972 bei ihrem Start in der DDR für einen Besucheransturm sorgte. Regisseur Alexander Mitta hatte zuvor schon Preise auf Festivals in London, Venedig und Belgrad für phantasievolle Filme erhalten, die auch in der DDR liefen. Damals galt er als Spezialist für sensible Kinderfilme.
Die Leidenschaft des Helden Iskremas für die Ideale der Künste, die er dem Landvolk nahebringen will, machte den Film auch für Kunstjünger in der DDR zu einem Kultfilm. Unvergesslich die Auseinandersetzungen, die Hauptdarsteller Oleg Tabakow mit seinem Konkurrenten Pascha (Jewgeni Leonow) hat, der ebenso leidenschaftlich triviale Stummfilmschnulzen bietet.
Der 1933 in die jüdische Moskauer Familie Rabinowitsch geborene Alexander nahm als Künstlernamen den seiner Mutter an, die von dem tschetschenischen Dichter Waslej Mitta abstammte. Sascha, wie er gerufen wurde, war Bauingenieur geworden, doch er hatte nebenbei Karikaturen veröffentlicht, darunter in der Satirezeitschrift Krokodil. Danach konnte er ein Studium am Moskauer Gerassimow-Institut für Kinematographie (WGIK) bei Michail Romm aufnehmen, dem berühmten Regisseur des Gegenwartsfilms »Neun Tage eines Jahres« (1962).
Zu Mittas bemerkenswerten Filmen, die internationalen Erfolg hatten, zählt »Wie Zar Peter seinen Mohren verheiratete« (1976) nach einer Vorlage von Alexander Puschkin. In einer seiner seltenen Hauptrollen brillierte hier der nicht parteikonforme Dichtersänger Wladimir Wyssozki als dunkelhäutiger Zarendiener. Mitta gelang 1979 mit dem ersten sowjetischen »Katastrophenfilm« »Flug durchs Feuer« ein ungeheurer Publikumserfolg – nur nicht in deutschen Kinos.
Alexander Mitta unterrichtete am renommierten WGIK, aber gab in den 1990er Jahren auch Kurse in Hamburg. Er schuf bis 2013 biographische Dokumentaressays – etwa über den Komponisten Alfred Schnittke und den Maler Marc Chagall –, in denen er ganz im Sinne von Iskremas den Massen Kunst nahebringen wollte. In seiner Heimatstadt Moskau ist er am Montag 92jährig an Krebs gestorben.
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