»Ihnen sind die Suchtkranken ein Dorn im Auge«
Interview: Gitta Düperthal
Im Bahnhofsviertel von Frankfurt am Main soll ein Cracksuchthilfezentrum entstehen. Das beschloss die Stadtverordnetenversammlung am 3. Juli mit großer Mehrheit. Die Abstimmung gibt die FDP als Grund an, die Koalition der Stadtregierung mit Bündnis 90/Die Grünen, SPD und Volt verlassen zu wollen. War das so zu erwarten?
Weil das Suchthilfezentrum aus unserer Sicht einer der wichtigen Sozialbausteine ist, um die Frankfurter Drogenpolitik weiterzuentwickeln, haben wir von Die Linke dafür gestimmt. Und zwar unter der Bedingung, dass es für alle suchtkranken Menschen offen ist, unabhängig davon, ob sie in Frankfurt gemeldet sind oder nicht. Das haben wir durchsetzen können – und so dem populistischen Kurs von SPD-Oberbürgermeister Mike Josef einen Riegel vorgeschoben. Der ist ja der Meinung, das Zentrum solle nur für Frankfurter da sein. Aus unserer Sicht hat die »Ampel plus Volt« in der Vergangenheit insgesamt wenig auf den Weg gebracht. Das Scheitern der Koalition war vorhersehbar.
Warum lobt die Grünen-Sozialdezernentin Elke Voitl das Zentrum als »deutschlandweit einmaliges und zukunftsweisendes« Projekt?
Im Frankfurter Bahnhofsviertel mietet die Stadt ein großes Haus an, in dem hauptsächlich Crackkonsumenten geholfen werden soll. Vor dem Hintergrund der neuen Herausforderungen eines veränderten Drogenkonsums ist das notwendig. Crack ist besonders als Mischkonsum gefährlich. Deshalb geht es darum, genau dort, wo sich diese Menschen aufhalten, einen sicheren Anlaufpunkt zu schaffen, der Hilfsangebote bündelt, wo Menschen Drogen konsumieren können – aber nicht am Rande der Stadt, wie es auch die CDU befürwortet.
War ein solches Projekt CDU und FDP zu teuer?
CDU und FDP geht es in dem Fall nicht ums Geld. Ihnen sind die suchtkranken Menschen ein Dorn im Auge, die sollen am liebsten raus aus der Innenstadt. Die beiden Parteien vertreten die Interessen der Industrie- und Handelskammer. Weil das Zentrum in der Nähe der Messe und großer Hotels liegt, befürchten die einen Imageschaden für Frankfurt. Uns ist es aber wichtig, dass nicht die Kapitalinteressen bedient werden, sondern die Interessen all derer, die eine soziale Stadt anstreben.
In Ihrer Mitteilung heißt es, auch der Oberbürgermeister trage am Scheitern der »Ampel plus Volt«-Koalition eine Mitverantwortung. Warum?
Der Oberbürgermeister hat es nicht geschafft, die Koalition zusammenzuhalten. Er hatte an der Linie der FDP festgehalten, das Zentrum nur für Frankfurt zu öffnen. Da die hessische Gemeindeordnung in diesem Fall aber keine Neuwahlen vorsieht, wird mit wechselnden Mehrheiten weiter regiert. Als Linke in der Opposition sind wir keine Mehrheitsbeschaffer. Im Zeitfenster bis zur Wahl in Frankfurt am 15. März 2026 werden wir versuchen, linke Projekte mit einer Mehrheit durchzusetzen.
Welche zum Beispiel?
Etwa die Erhöhung der Gewerbesteuer, um soziale Ausgaben besser bewältigen zu können, einen Nothilfefonds für Mieter, um finanzielle Belastungen in sozialen Härtefällen durch die Grundsteuerreform abzufedern, sowie verkehrspolitisch die Verdrängung des Autoverkehrs aus der Innenstadt und die dauerhafte Sperrung des Mainkais.
In der Vergangenheit warfen Kritiker Ihrer Partei vor, sich der Stadtregierung anzubiedern und deren Großprojekte – zum Beispiel die geplante Multifunktionsarena am Waldstadion oder das neue Schauspielhaus – mitzutragen. Mit linker Politik habe das nichts zu tun. Halten Sie diese Urteile für berechtigt?
Nein. Wir unterstützen den Neubau der städtischen Bühnen, fordern aber gleichzeitig, Theater der freien Szene stärker zu fördern. Wir wollen beides und Kultur nicht gegen Sozialpolitik ausspielen. Tatsächlich ist unsere Mitgliederzahl in Frankfurt seit November 2024 von 750 auf aktuell 1.613 angestiegen. Gestärkt und selbstbewusst schauen wir nach vorn. Wir wehren uns zusammen mit einer Initiative für Mietenstopp gegen Mieterhöhungen beim Wohnungsunternehmen Nassauische Heimstätte und sind aktiv gegen den Autobahnausbau.
Michael Müller ist Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke im Stadtparlament der Stadt Frankfurt am Main
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