Gegründet 1947 Sa. / So., 12. / 13. Juli 2025, Nr. 159
Die junge Welt wird von 3019 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 11.07.2025, Seite 8 / Ansichten

Ein Vorgeschmack

Misstrauensvotum gegen von der Leyen
Von Jörg Kronauer
Plenarsitzung_des_Eu_86570392.jpg
Wer Argumente gegen die EU sucht, wird dank Kommissionschefin Ursula von der Leyen schnell fündig (Strasbourg, 8.7.2025)

Nicht das Ergebnis war das eigentlich Interessante an dem Misstrauensvotum gegen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, über das das EU-Parlament am gestrigen Donnerstag abstimmte. Mit einem relativ deutlichen Scheitern hatten eigentlich alle gerechnet. Und dies, obwohl der Unmut über von der Leyens Amtsführung in fast allen Fraktionen wächst. Da wären die dubiosen Deals zum Kauf von Coronaimpfstoffen, die von der Leyen über inzwischen wohl klammheimlich gelöschte E-Mails mit Pfizer-Chef Albert Bourla aushandelte; die Tatsache, dass sie das 800 Milliarden Euro schwere Kreditprogramm »ReArm Europe« am EU-Parlament vorbei beschloss; dann – auf Druck der EVP-Fraktion – das Kassieren eines Antrags, der sich gegen Greenwashing richtete: Wer es sich mit allen verderben will, handelt exakt so.

Nun hatte ausgerechnet ein EU-Abgeordneter der rumänischen Rechtsaußenpartei Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR) den Misstrauensantrag ins EU-Parlament eingebracht und sich dazu Unterstützung aus sämtlichen Rechtsaußenfraktionen gesichert. Eine Chance auf Zustimmung bei den Sozialdemokraten, den Grünen oder gar den Linken hatte der Antrag daher nicht. Der Vorgang zeigt aber: Die Rechte sieht sich im Aufwind und geht zur Attacke über – dies auch deshalb, weil von der Leyen bei einer wachsenden Zahl an Themen von der Flüchtlingsabwehr bis zur Unterstützung fossiler Energien auf die Stimmen von Rechtsaußen angewiesen ist, und zwar in dem Maße, in dem sich die Politik des EU-Establishments nach rechts verschiebt. Parteien wie der Rassemblement National (RN) oder die AfD haben Lunte gerochen, sie verstärken nun ihren Druck.

Zugleich hat das Misstrauensvotum Bruchlinien innerhalb der Rechtsaußenfraktionen im EU-Parlament offengelegt. Da gibt es Parteien wie Giorgia Melonis Fratelli d’Italia, auf die sich von der Leyen schon heute in wachsendem Maß stützt. Mit Meloni selbst hat sie schon vor zwei Jahren die EU-Flüchtlingsabwehr in Nordafrika weiter barbarisiert. Es gibt aber andererseits auch Parteien wie die polnische Kaczyński-Partei PiS, die bisher – aus unterschiedlichen Gründen – nur wenig in die Kooperation der EVP mit der äußersten Rechten einbezogen werden. Letztere trugen das Misstrauensvotum mit, erstere nicht. Der Dissens in der äußersten Rechten wird erst aufgehoben sein, wenn auch Kräfte wie die PiS oder der RN systematisch an der Ausübung der Macht in der EU beteiligt werden. Der Misstrauensantrag dürfte ein Vorgeschmack auf mehr gewesen sein.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

Regio:

Mehr aus: Ansichten