Gegründet 1947 Sa. / So., 12. / 13. Juli 2025, Nr. 159
Die junge Welt wird von 3019 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 11.07.2025, Seite 8 / Ansichten

Die Schönrechner

Geberkonferenz der Ukraine-Unterstützer
Von Reinhard Lauterbach
2025-07-10T093717Z_1361340764_RC2LJFAEGCSD_RTRMADP_3_UKRAINE-CRI
Wenn es um den Krieg in der Ukraine geht und das Vorgehen gegen Migration, verstehen sich die EU-Spitzen prächtig (Rom, 10.7.2025)

Die Veranstaltung, zu der sich die westlichen Unterstützer der Ukraine am Donnerstag in Rom getroffen haben, hatte zumindest ebensoviel symbolischen wie realen Charakter. Die symbolische Seite ist dabei, Russland die »ungebrochene Solidarität« – und was der Phrasen mehr ist – des kollektiven Westens mit der Ukraine zu demonstrieren. Und Russland demonstrierte den versammelten Geldgebern der Ukraine, dass ihre ganzen Berechnungen den Speicherplatz nicht wert sind, auf dem sie erstellt werden – denn mit jeder Nacht der Drohnenangriffe erhöht sich die Schadenssumme. In diesem Krieg geht es um Zermürbung, auch der wirtschaftlichen Substanz.

Das wissen sie in Brüssel auch, und deshalb rechnen sie sich die Zahlen schön, so gut es geht. Auf 500 Milliarden US-Dollar beläuft sich die aktuelle Schadensschätzung der Weltbank. Das ist ein Anstieg um 50 Milliarden in einem halben Jahr. Aber soviel werde es gar nicht werden, hieß es vor der Konferenz aus Brüssel. Denn ein Großteil der Zerstörungen entfalle auf die Teile der Ukraine, die Russland unter schweren Verlusten in den vergangenen Jahren erobert hat. Und für die werde die EU natürlich keinen Cent zahlen. Das für Kiew Peinliche an dieser Rechnung liegt in dem darin implizierten Eingeständnis, dass die Ukraine die verlorenen Gebiete ohnehin nicht zurückbekommen werde. Und dass auch die EU an einer ukrainischen Rückeroberung des Ostens und Südens kein Interesse hat, weil das die Rechnung für den Wiederaufbau erhöhen würde.

Der eigentliche »Elefant im Raum« aber ist, ob und wie die in Westeuropa eingefrorenen Guthaben der russischen Zentralbank für diesen Wiederaufbau genutzt werden können und sollen. Kiew und die USA verlangen von der EU, auf deren Banken der Großteil der eingefrorenen 300 Milliarden Euro liegt, »mutiger voranzugehen« bei ihrer Enteignung. Das ist aber leichter gefordert als getan. Denn wenn es irgendwann einmal Frieden in der Ukraine gibt, entfällt der formale Grund für die Blockade dieser Mittel. Da eine russische Niederlage, die das Land zwingen würde, diese Mittel als Reparationen der Ukraine zur Verfügung zu stellen, nicht in Sicht ist, bedeutet dies, dass das Geld an die russische Zentralbank zurückerstattet werden müsste. Es einfach einzukassieren würde ein für die EU gefährliches Signal an die Finanzmärkte der Welt senden: Wer sein Geld in Europa deponiert hat, ist nicht sicher, ob er es im Falle politischer Konflikte zurückbekommt. Dann doch lieber weiter Tropfen auf heiße Steine gießen. An denen herrscht in der Ukraine ja kein Mangel.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (11. Juli 2025 um 00:49 Uhr)
    »Kiew und die USA verlangen von der EU, auf deren Banken der Großteil der eingefrorenen 300 Milliarden Euro liegt, «mutiger voranzugehen» bei ihrer Enteignung. Das ist aber leichter gefordert als getan. Denn wenn es irgendwann einmal Frieden in der Ukraine gibt, entfällt der formale Grund für die Blockade dieser Mittel.« Ich glaube, da unterschätzt R. Lauterbach die Phantasie der EU-Führung. Einen rechtlichen Grund gab es nie, da Sanktionen nur von der UNO beschlossen werden dürfen und Russland weder einen EU- noch einen NATO-Staat angegriffen hat. Da gäbe es deshalb eher einen rechtlichen Grund, Sanktionen gegen letztere Staaten zu ergreifen wegen Bruch des Völkerrechts. Und ein formaler Grund würde voraussetzen, dass man im Westen wenigstens die Form wahrt nach dem Grundsatz: Gleiches (von uns erdachte) Recht für alle. Aber auch hier Fehlanzeige. Das wäre der Fall, wenn man nach 1945 die Krieg führenden Staaten USA, GB, Niederlande, Belgien, Deutschland, Frankreich, alle Teilnehmer am Überfall auf Serbien, Irak, Libyen ebenfalls mit Blockierung des Staatsvermögens bestraft hätte. Da zieht man es jedoch vor, Staatsvermögen des völlig wehrlosen Venezuela einzufrieren. Das alles ist und bleibt Raubrittertum des Westens. Allen Staaten, die sich daran beteiligt haben (der »Unrechtsstaat« DDR war es jedenfalls nicht) und den Wählern von deren Regierungen geschieht es ganz recht, wenn sie ihrerseits von den USA nach Strich und Faden ausgenommen und erpresst werden. Sie bekommen genau das, was sie 80 Jahre lang unterstützt haben.
    Aber soviel werde es gar nicht werden, hieß es vor der Konferenz aus Brüssel. Denn ein Großteil der Zerstörungen entfalle auf die Teile der Ukraine, die Russland unter schweren Verlusten in den vergangenen Jahren erobert hat. Da muss ein Irrtum vorliegen. Wie uns die Ukraine seit drei Jahren versichert, ist Russland ein Terrorstaat, der die gesamte Ukraine vernichten will und täglich die Zivilbevölkerung ins Visier nimmt. Da wäre natürlich in den Großstädten, die nahezu alle unter ukrainischer Kontrolle stehen, ein ganz anderes Schadensverhältnis zu erwarten, zumal dort bei Terror mit einer einzigen Rakete wesentlich mehr auszurichten ist, als bei Dorf XY. Welche Zerstörungen man in kürzester Zeit in dicht besiedelten Gebieten erzielen kann, ist in Mossul oder Gaza zu besichtigen. Aber da waren ja auch keine Terrorstaaten aktiv, sondern Demokratien, die das offensichtlich besser beherrschen.

Ähnliche:

  • Von den »SPD-Friedenskreisen« eher bemäntelt als kritisiert: Die...
    13.06.2025

    Ein bisschen Frieden

    Die SPD bleibt Friedenspartei – bei jedem Krieg, den Deutschland führt. Randglossen zum Manifest einiger SPD-Mitglieder
  • Die Ukraine wird zur raschen Anpassung ihres Telekommunikationsr...
    13.06.2025

    Anschluss über diese Nummer

    Subtiles Druckmittel: EU senkt Roaminggebühren für Mobiltelefone ukrainischer und moldauischer Betreiber
  • Makabre Fracht: Vom russischen Verteidigungsministerium veröffen...
    12.06.2025

    Unerwünschte Tote

    Ukraine-Krieg: Leichname gefallener Soldaten verzögert ausgetauscht, Hunderte Gefangene übergeben. EU bereitet neue Russlandsanktionen vor

Mehr aus: Ansichten