»Der Abschuss erzielt nicht das erwünschte Ergebnis«
Interview: Fabian Linder
Das EU-Parlament hat am 8. Mai die Herabsetzung des Schutzstatus für Wölfe in der EU beschlossen. Was folgt daraus für die einst ausgerottete Art?
Bisher waren Wölfe über die sogenannte FFH-Richtlinie streng geschützt, jetzt sind sie nur noch als »geschützt« eingestuft. Damit können Ausnahmeregeln geltend gemacht und flexible Wolfmanagementpläne eingeführt werden. Auf nationaler Ebene ermöglicht dies Maßnahmen wie Bestandskontrollen, Schutzzonen, jagdrechtliche Regulierungen – bis hin zur Aufnahme ins Jagdrecht.
Folgt dieser letzte Schritt zwangsläufig aus dem geänderten Schutzstatus?
Es besteht keine unmittelbare Notwendigkeit, eine bestimmte Maßnahme umzusetzen, sondern es bleibt den Mitgliedstaaten selbst überlassen.
Welche Befürchtungen hegt der BUND mit Blick auf den Artenschutz?
Der Wolf galt in Deutschland lange als ausgestorben und ist erst seit wenigen Jahren über Osteuropa wieder zurückgewandert. Sollte der Wolf wirklich ins Jagdgesetz aufgenommen und die Population entsprechend reguliert werden, könnten nicht mehr genügend Informationen zum Erhalt der Art vorliegen: wie groß die Populationen wirklich sind, über welche Wanderkorridore und welche Reviere diese Populationen verfügen oder wie viel genetischer Austausch erforderlich ist. Diese zurückgekehrte Art sollte sich in Deutschland aus unserer Sicht langfristig etablieren können.
Wie würde sich das auf andere Arten auswirken?
Damit entstünde wieder eine natürliche Dynamik im Ökosystem, da der Wolf zum Beispiel dazu beiträgt, dass die Wälder natürlicherweise wachsen und die Naturverjüngung durch Rotwild und Schwarzwild nicht verringert ist.
Sie plädieren nur im äußersten für einen Abschuss. Welche anderen Lösungen braucht es statt dessen?
Es gibt wissenschaftliche Erkenntnisse, dass eine Reduzierung der Zahl der Wölfe nicht unmittelbar zu einer Verringerung der Nutztierrisse führt. Die Forderung zur Herabstufung des Wolfs in Deutschland liegt primär in der Weidetierhaltung begründet, da vor allem Ziegen- und Schafherden betroffen sind. Auch hierzu gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse sowie praktische Belege aus anderen EU-Mitgliedstaaten: Herdenschutzmaßnahmen tragen am wirksamsten dazu bei, dass Nutztierrisse abnehmen. Ein Abschuss kann im Ausnahmefall erforderlich sein, wenn ein Wolf Tollwut hat, sich in Siedlungsnähe aufhält und für den Menschen gefährlich sein könnte.
Es braucht also den flächendeckenden Herdenschutz mit unbürokratischer Umsetzung und voller Förderung der Nutztierhalterinnen und -halter. Wenn es in Deutschland weiterhin gewünscht ist, zu beweiden, ist dieser flächendeckende Schutz wichtig. Wölfe lernen dazu und gehen dort, wo dieser flächendeckende Schutz nicht stattfindet, auf die leichten Beutetiere.
Wie erklären Sie den Beschluss des EU-Parlaments?
Es besteht die berechtigte Sorge, dass der Naturschutz im Allgemeinen auf europäischer Ebene abgeschwächt werden soll. Es standen auch weitere Arten zur Debatte, deren Schutzstatus gesenkt werden sollte. Dabei wurde ohne ausreichende Populationsdaten, Risikoanalysen oder Verträglichkeitsprüfung diskutiert.
Sehen Sie die Möglichkeit, über die Justiz oder politischen Druck den Schutzstatus in absehbarer Zeit wieder anzuheben?
Davon gehen wir unter den aktuellen politischen Gegebenheiten erst mal nicht aus. Falls es wirklich dazu kommt, dass der Wolf ins Jagdgesetz aufgenommen wird, müsste dies zunächst rechtlich geregelt und praktikabel umgesetzt werden. Zu hoffen bleibt, dass im gleichen Zuge geeignete Herdenschutzmaßnahmen umgesetzt werden und klar wird, dass der Abschuss des Wolfs nicht das erwünschte Ergebnis erzielt.
Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?
Im Koalitionsvertrag wird ein besserer Herdenschutz in Aussicht gestellt. Dabei sprechen wir von Maßnahmen wie Herdenschutzhunden oder ausreichender Umzäunung. Herdenschutz kann aber je nach Auslegung auch eine andere Bedeutung haben.
Matthias Goerres ist Teamleiter im Bereich »Lebensräume« und Referent für Naturschutz beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V.
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