Waffen statt Wagen
Von Max Grigutsch
Wie ein Eintritt in das lukrative Rüstungsgeschäft gelingen kann, fragen sich immer mehr Firmen in Deutschland. Beratung und Vernetzungsangebote gibt es beim Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV). Als Sammelstelle für Kriegskapitalisten hat der Zusammenschluss seine Mitgliederzahl seit 2017 fast verfünffacht. »Inzwischen sind 340 Unternehmen bei uns Mitglied und damit 100 mehr als Ende vergangenen Jahres«, sagte Hans Christoph Atzpodien, BDSV-Hauptgeschäftsführer und ehemaliger Thyssenkrupp-Chef, am Montag vor Journalisten. 2017 habe der Branchenverband nur 70 Mitglieder verzeichnet.
Angesichts des jüngst beschlossenen NATO-Fünfprozentziels und »auch wegen unserer Bedrohungslage« sei »eine unfassbare Dynamik in der gesamten Wirtschaft zu spüren«, freute sich Atzpodien. »Jahrzehntelang musste sich die öffentliche Hand bei Rüstungsausgaben zurückhalten, das hat sich nun völlig gedreht.« Gemeint sind wohl die Aufrüstungsinvestitionen in hundertfacher Milliardenhöhe des Bundes, die nun Profite im Kriegsgeschäft versprechen.
Welche Firmen unter den BDSV-Neuzugängen sind, sagte Atzpodien nicht. Allerdings kämen etliche der Unternehmen aus der kriselnden Autobranche, darunter viele Zulieferer oder Dienstleister wie Ingenieurbüros, die weniger Aufträge von den Autoherstellern erhielten. »Leider«, meinte Ulrich Thoden, der für die Linksfraktion im sogenannten Verteidigungsausschuss des Bundestags sitzt, am Montag gegenüber junge Welt. Es sei »auffällig, dass viele Firmen aus dem Bereich der Autoindustrie und dort vor allem Zulieferfirmen nun auch was von den vielen Rüstungsmilliarden abhaben wollen«.
Umgekehrt habe die Rüstungsindustrie durchaus Bedarf an neuen Dienstleistern und Zulieferern, sagte Atzpodien. Ein Problem für Neulinge seien aber die besonderen Regeln des Sektors. So benötigten einige Funktionäre zum Beispiel eine sogenannte Geheimschutzermächtigung, um Einsicht in staatliche Verschlusssachen zu erhalten und so bei der Waffenproduktion mitwirken zu können. Zudem gebe es »spezielle Anforderungen im Verhältnis zum öffentlichen Auftraggeber, nicht zuletzt mit Blick auf die unterschiedlichen Beschaffungswege sowie das darauf anwendbare öffentliche Preisrecht«, erklärte Atzpodien am Montag auf jW-Anfrage. Neumitglieder erhoffen sich vom BDSV entsprechende Beratung. Dafür biete der Verband »verschiedene Formate wie Ausschüsse, Arbeitsgruppen sowie themenspezifische Veranstaltungen« an.
Ausschüsse, Veranstaltungen – und Lobbyismus. In den Reihen des BDSV sind Firmen versammelt, die sich »in erster Linie als hochqualifizierte Ausrüster und Partner der Bundeswehr sowie der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben der Bundesrepublik Deutschland« verstehen, so das auf der BDSV-Website einzusehende Selbstverständnis. Zu den politischen Interessen des BDSV zähle »eine hinreichende Haushaltsausstattung bei den Rüstungstiteln des Bundesverteidigungsministeriums«, erklärte Atzpodien gegenüber jW. Das sei eine »wesentliche Voraussetzung für Planbarkeit« in der Branche. Außerdem setze sich der Verband für ein »Gesetz zur beschleunigten Planung und Beschaffung für die Bundeswehr« ein. Anders die Partei Die Linke: Diese wolle statt dessen eine »Konversion hin zu ziviler Produktion«, sagte Thoden. »Dass Herr Atzpodien mit seinem Lobbyverein BDSV« von der Aufrüstung und dem Andrang in den Verband profitiert, sei »immanent logisch«.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (7. Juli 2025 um 20:40 Uhr)»Immanent logisch«, man könnte auch sagen, energetisch kompatibel, ist die Autoindustrie seit jeher Teil der Waffenindustrie. Bei Zoll online ist zu lesen: »Diese Waffen gelten in der Regel nicht als Spielzeuge, da die Bewegungsenergie der Geschosse regelmäßig 0,5 Joule übersteigt und diese somit den Vorschriften des Waffengesetzes unterliegen.« (https://www.zoll.de/DE/Fachthemen/Verbote-Beschraenkungen/Schutz-der-oeffentlichen-Ordnung/Waffen-und-Munition/Verbringen-Mitnahme/besonderheiten.html). Jetzt die Frage, wieviel Joule hat ein Hausfrauenpanzer von Porsche (Cayenne mit 2130 kg Leergewicht) bei einer Geschwindigkeit von 305 km/h (Cayenne Turbo E-Hybrid Coupé)? Hinweis: E = m * v * v / 2. v = 84 m/s, m = 2130kg ohne InsassIn. Auch ohne Taschenrechner sieht man: Das Teil unterliegt dem Waffengesetz. Man spricht zwar von End- und nicht von Mündungsgeschwindigkeit, die tödliche Energie ist vergleichbar.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (8. Juli 2025 um 13:57 Uhr)Lieber Herr Heinrich H.! Hier kommt die dialektische Logik ins Spiel, meine ich. Es gilt A ungleich B, wenn B gleich C und C ungleich A, denn die Bedingungen der Möglichkeit der identischen Bezeichnung erklären sich selbst. Wo könnte die Leerwagenhypothese fruchten? – Ihr Gedankengang ist zauberhaft.
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