Wo noch niemand war
Von Ken Merten
Heavy Metal hat noch keinen Weltkrieg erlebt. Die Frage, ob er darauf hinarbeitet, ist keine, die sich nur bei Sabaton und sonstigen Militärkapellen stellt. Schließlich sind Powerchords und Blastbeats an sich technokratische und akzelerationistische Mittel, mit denen sich Friede, Freude, Eierkuchen nur kontraintuitiv vermitteln lassen. Die Stärke des Metal: Er richtet sich gegen die Rückkehr auf die Bäume, er vermittelt das Beherrschen der geschaffenen Kräfte, inklusive der zur Destruktion gedachten. Aus Krach wird Musik: Metal vermittelt, dass sich der Primitivismus, mit allem vorhandenen, vom Knüppel zur Atombombe, aufeinander einzuschlagen, spätestens seit Iron Butterfly verbietet.
Theoretisch vielleicht nett, aber wo ist die Umsetzung? Gerade in gewendeten Zeiten? »Inter arma enim silent leges«, unter den Waffen schweigen die Gesetze, singt der Chor in »War is the Father of All«, dem über sechsminütigen Hauptstück von Heaven Shall Burns zehnten Album »Heimat«. Der Chor kann und darf nicht unterschlagen werden, ist auf die Bühne gestelltes und zur Sprache gebrachtes Volk. Und wenn die Masse »Si vis pacem para bellum« (Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor) flüstert, dann wird der eine Kriegsgeilheit untergejubelt, die sie mehrheitlich (noch) nicht verspürt. Selbst wenn: Schießen wird nicht per Plebiszit eröffnet. Und Krieg ist keine exklusive Nummer sogenannter Autoritarismen: »Bow to the ruler of all kings / Dreaded and abhorred / His reign of perdition / So hostile to man / So fell and malevolent / Summoned by the most malicious tyrants / A sleeping deity / Once awoken and unleashed / Never to be tamed / Once bespoken / Never to be pleased / Domination of humankind / Subordination of the prudent mind.« Der Export von Freedom and Democracy per Bomber klappt prima ohne politische Tyrannei, wenn bloß das heimatliche Kapital ein Interesse daran hat.
Dem wiederum ist man als kleines Chormitglied »scheißegal«, wie es auf der B-Seite von »Heimat« sehr korrekt heißt. Der Track »Kein Schritt zurück«, eine Kollaboration mit Donots-Sänger Ingo Knollmann, wurde bereits vergangenes Jahr veröffentlicht. »Ja, ja, ich weiß / Du hast was Besseres verdient / Du bist nicht reich / Doch du bist wunderschön«, singt Knollmann Kopf tätschelnd jenen entgegen, die ihren Unmut zeigen, indem sie sich der AfD in den Rachen werfen. Das linksliberale »Von oben herab« lässt sich dabei nicht weghören. »Heimat, meine Liebe, es ist kompliziert.« Kompliziert ist es in der Tat: Heaven Shall Burn unterstützten zur Bundestagswahl die Direktkandidatur Bodo Ramelows (Die Linke), dem bekanntlich zu viele Ukrainer im wehrfähigen Alter frontfern in Deutschland so etwas wie Frieden genießen.
Heaven Shall Burn fassen Heimat mit »Heimat« mehrfach an: Drei der Bonustracks sind Punkcover (»Schweineherbst« von Slime, Schweissers »Eisenkopf« und das bereits vor 20 Jahren aufgenommene »Destroy Fascism« von Endstand). Dazu kommt die Adaption von Killswitch Engage (KSE): »Numbered Days« wurde gemeinsam mit KSE-Sänger Jesse Leach neu vertont. Ein Verweis auf die Herkunft als Metalcoreband.
Nachdem sich das Thüringer Quintett 2020 mit »Of Truth and Sacrifice« auf alles Mögliche im Metal, bis darüber hinaus und zur Neuen Deutschen Härte Rammsteinscher Prägung, berief, greifen Heaven Shall Burn mit »Heimat« primär auf sich selbst zurück: Großartig kakophone Sägeriffs finden sich, die zuletzt auf »Whatever It May Take« (2002) zu hören waren. Drei kurze Streicherstücke stecken das Album ab wie einst »Antigone« (2004), für das damals der isländische Popkomponist Ólafur Arnalds die Instrumentals beisteuerte. Das Intermezzo in der Mitte von »Heimat« wiederum ist tongue in cheek »Imminence« betitelt, als Reaktion darauf, dass die so benannte schwedische Band auf ihrem letzten Album einen Song namens »Heaven Shall Burn« präsentierte. Die bewusste Referenz folgt auf die (wahrscheinlich) unbewusste.
Auch ohne Ausreißer nach oben ist »Heimat« das beste Album von Heaven Shall Burn seit »Invictus« (2010). Dort schon wurde mit der Heimat dialektisch verfahren: »Of Forsaken Poets« war Max Hermann-Neiße (1886–1941) gewidmet, sein im Exil geschriebenes Gedicht »Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen« direkt zitiert.
Von Ernst Bloch (1885–1977) und seinem »Prinzip Hoffnung« wissen wir, dass die Heimat etwas ist, »worin noch niemand war«. Sie einzurichten ist eine Aufgabe. Teil davon ist es, die Fesseln ab- und dem Vater aller Dinge anzulegen.
Heaven Shall Burn: »Heimat« (Century Media Records)
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