Gegen die Wagenburgmentalität
Von Niki Uhlmann
Die Devise hoheitlicher Informationspolitik lautet: Wissen ist Macht – Nichtwissen macht gefügig. Im Ringen um Hegemonie bemühen sich allerlei Souveräne darum, ihre Narrative durchzusetzen. Wenn die herkömmlichen Propagandamittel dafür nicht mehr ausreichen, wird wie zuletzt von der EU auf geradezu diktatorische Mittel zurückgegriffen. »EU-Wahrheitsregime kontra Pressefreiheit« lautete der Titel einer gutbesuchten Veranstaltung am Donnerstag abend in der Maigalerie der jungen Welt. Es ging um die Sanktionierung von deutschen Journalisten durch die Russland-Sanktionsliste der EU und die Folgen für die Pressefreiheit.

Moderator Rüdiger Göbel leitete den Abend mit einer Darstellung der Maßnahmen des 17. EU-Sanktionspakets gegen Russland vom Mai dieses Jahres ein. Reiseverbote, Kontensperrungen und die Kriminalisierung der Unterstützung durch Dritte seien gegen mehrere deutsche Journalisten verhängt, selbst Familienangehörige in »Sippenhaft« genommen worden. Diese Maßnahmen kämen einer »totalen Entmündigung und Entrechtung gleich«, bedeuteten letztlich Arbeitsverbot – ein »gefährlicher Präzedenzfall«.

Die Folgen schilderte Nick Brauns, Chefredakteur der jW, am Beispiel Hüseyin Doğru. Dem Gründer des inzwischen in Abwicklung befindlichen Medienportals Red Media wurde die Berichterstattung über Polizeigewalt bei palästinasolidarischen Protesten in Deutschland als »Feindpropaganda« im Auftrag des Kremls zur Last gelegt. Damit sei kritischer Journalismus bestraft worden, so Brauns. Gerne würde die junge Welt Doğru anstellen, mache sich damit aber strafbar, sobald sie ihn für seine Arbeit bezahle. Dass der Einsatz für Wahrheit und Völkerrecht kriminalisiert werde, sei eine Gefahr für Presse wie Öffentlichkeit. Zumal die BRD mit dem Urteil im Fall Compact ihre »Waffen geschärft« habe, da Verbote von Medien über den Umweg des Vereinsrechts als legitim eingestuft worden seien. Die Listung der jW im Verfassungsschutzbericht sei somit »ein Damoklesschwert«, ergänzte Göbel.

Florian Warweg, Redakteur des Portals Nachdenkseiten, komplettierte dieses Bild mit einem Bericht von der jüngsten Regierungspressekonferenz. Dort habe ein Großteil der Journalisten die proaktive staatliche Darstellung der Sanktionierung Doğrus ohne Nachfragen, also kritiklos, übernommen. Abermals habe er feststellen müssen, dass Leitmedien »das Spiel der Mächtigen gern mitspielen«. Umgekehrt bediene sich der Staat bei den entsprechenden Medien, um sein Handeln mit Verweis auf die vermeintlich neutrale Berichterstattung zu legitimieren. Aus dem Publikum wurde später treffend kommentiert, dass die Mär von der Presse als vierter Gewalt vielmehr als Drohung begriffen werden müsse. Warweg warb für mehr Solidarität innerhalb der journalistischen Zunft.

Da es im Grundgesetz heiße, »eine Zensur findet nicht statt«, müssten die Sanktionen als verfassungswidrig eingeordnet werden, sagte Tilo Gräser, Redakteur der Zeitschrift Hintergrund. Der Verfassungsschutz solle mal die Bundesregierung ins Visier nehmen, witzelte er. Die EU habe mit dem »Digital Services Act« sogar einen Rechtsrahmen für »Kontrolle und Zensur« geschaffen, dabei aber keine »klare, rechtlich bindende Definition von Desinformation« beschlossen. Verbotslustiger Willkür sei damit Tür und Tor geöffnet worden. Roberto De Lapuente vom Onlineportal Overton-Magazin wies auf die Verstrickung vieler sogenannter Faktenchecker mit dem Staat hin. Deren Aufgabe sei es, die »Stimmungslage in der Bevölkerung auf Linie« zu bringen. Er habe den Eindruck, dass »der Westen ins letzte Gefecht geht«. Im Ernstfall müsse mit einem Berufsverbot gerechnet werden. Kritischer Journalismus vertrage sich nicht mit der in Kriegszeiten erforderlichen Wagenburgmentalität. Die aktuelle Zensur wertete er als Mittel des Kriegs.

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Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (5. Juli 2025 um 06:41 Uhr)Vielen Dank für diese sehr erhellende Veranstaltung, liebe junge Welt. Es waren genau meine Nachrichtenquellen auf dem Podium. Was mir beim Thema »Gleichschaltung der Medien« fehlte, war der explizite Verweis auf solche Wagenburgen wie die »Funke-Mediengruppe«, das »Redaktionsnetzwerk Deutschland« oder die Springer-Verlagsgruppe, um nur die Printmedien zu nennen. Durch diese Redaktionsverbünde wird die Gleichschaltung der Medien erst umfassend ermöglicht. Personell kleine Gruppen entscheiden über die Inhalte, die dann flächendeckend verbreitet werden, und dadurch liest sich alles gleich. Das wird dann als die nahezu einhellige Meinung der deutschen Presselandschaft und dann der Bürger »verkauft«. Neben der Deutungshoheit ist dann auch noch viel Geld im System, um kleine, kritische und vor allem unabhängige Medien wie eben die jW, das ND, die Berliner Zeitung (um nur einige der sehr wenigen zu nennen) klein zu halten. Diese Konstruktionen sind ein nicht unwesentlicher Weg, um das Zensurverbot des Art. 5 GG zu umgehen – es findet ja keine Zensur statt, sondern nur die Gleichschaltung der Medien. Das lässt sich auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausweiten. Und die Regierenden haben über ihren Einfluss auf diese Zusammenschlüsse die relativ einfache Möglichkeit, die Meinungen der Bürger zu manipulieren. Und wenn man sich dann auch noch die Zusammensetzung des Vorstandes des Bundespressekonferenz e. V. ansieht – dann sind dort genau diese Gruppen vertreten. Und das macht z. B. Florian Warweg das Leben in der Bundespressekonferenz so schwer. Ich bewundere immer wieder seine Hartnäckigkeit, mit der er Antworten einfordert und die Auskunft Gebenden nervös bis wütend macht.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Manfred G. aus Manni Guerth (4. Juli 2025 um 20:52 Uhr)Hüseyin Doğru und seine Familie wurden mit einem Bann belegt, der ihre Lebensgrundlage zerstört. Die ideologische Wurzeln des Banns reichen bis ins Mittelalter zurück. Im Mittelalter nannte man es Reichsacht (Bann). Das war eine Strafe, die den Beschuldigten rechtlos aus der Gemeinschaft ausschloss. Jede Person, die Hilfe leistete, wurde unter Strafe gestellt. In der Neuzeit, d. h. in der Gegenwart, nennt man das nicht mehr Reichsacht, sondern Sanktionen. Im Feudalismus wurde die Reichsacht mit dem Schwert durchgesetzt. In der Neuzeit werden die Sanktionen mit dem Entzug der Lebensgrundlage des Beschuldigten umgesetzt. Der Bann hat sich vom Mittelalter bis in die Gegenwart kaum verändert. Nur die Wortwahl wurde verändert. Heute nennt man den Bann »Sanktionspaket«. Die Rolle des damaligen Königs hat heute die Kapitalelite mit ihren Politikern übernommen. Die Auswirkungen gegenüber dem Beschuldigten und seiner Familie, d. h. der Entzug seiner Lebensgrundlage und die Bestrafung von Ehefrau und unterstützenden Brötchengebern – eine Anstellung von Hussein bei der junge Welt würde die Zeitung der Repression aussetzten – sind nahezu gleich geblieben. Das gegenwärtige Gesellschaftssystem der BRD ist neoliberalistisch, d. h. eine weiterentwickelte Form des Kapitalismus. Neoliberalismus zerstört Kultur und Souveränität des Staates und macht sich dem Staat zum Untertan. Kritik, Aktivitäten und Beanstandung gegen Staat und Neoliberalismus sind nicht erwünscht und werden bekämpft. Parteien im Bundestag sind mitverantwortlich für die Entwicklung des Neoliberalismus und den Bann gegen Hüseyin Doğru. Leider fehlt den Linken in Deutschland das Selbstbewusstsein, sonst wüssten sie, was zu tun ist: Aufbau einer revolutionären Arbeiterpartei mit marxistischer Ausrichtung.
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