Debatte um Taliban-Deal
Von Kristian Stemmler
Wenn es darum geht, an von Staat und Kapital unverlangt eingereisten Ausländern ein Exempel zu statuieren, ist Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) offenbar jedes Mittel recht. Seine Ankündigung vom Donnerstag gegenüber dem Magazin Focus, direkte Gespräche mit den Taliban in Afghanistan zu führen, um Abschiebungen von Straftätern in das jahrzehntelang von der NATO besetzte Land zu ermöglichen, hat gleich mehrere Regierungssprecher in Erklärungsnot gebracht. Die Opposition im Bundestag, Experten und Verbände warfen dem Minister vor, dieser Schritt würde ein Regime legitimieren, das systematisch die Menschenrechte missachte, zudem drohe den abgeschobenen Asylsuchenden in ihrer Heimat Folter.
Dobrindt hatte gegenüber Focus behauptet, es gebe in der Migrationspolitik »extrem große Herausforderungen«, die ungelöst seien: Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan. Ihm schwebe vor, »dass wir direkt mit Afghanistan Vereinbarungen treffen, um Rückführungen zu ermöglichen«. Es dürfe keine Dauerlösung sein, dass Gespräche mit den Taliban – wie es derzeit gegeben sei – nur über Dritte geführt würden. Das im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD vereinbarte Ziel, sei »angesichts der rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen ein schwieriges«, sagte Kanzlersprecher Stefan Kornelius am Freitag in Berlin vor Journalisten.
Die Regierung »prüfe« alle »erforderlichen und möglichen Schritte«, um einen dauerhaften »Rückführungsmechanismus zu etablieren«. Dafür »könnten« Kornelius zufolge auch direkte Gespräche mit Kabul erforderlich werden. Fest stehe: Die BRD erkenne »die De-facto-Regierung der Taliban politisch nicht als legitime Regierung Afghanistans an«. Darunter gebe es »viele anlassbezogene technische Kontaktmöglichkeiten« zu den Taliban, womit Kornelius auf Doha in Katar als bereits bestehende diplomatische Relaisstation verwies.
Die Taliban seien international als Terrororganisation eingestuft, erklärte Sebastian Fiedler, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, am Freitag im ARD-»Morgenmagazin«. Zu Recht wolle die Bundesregierung Straftäter nach Afghanistan abschieben, aber direkte Gespräche mit einer Terrororganisation seien »keine triviale Geschichte«. Die Sache sei »ein Ritt auf der Rasierklinge«, mahnte Fiedler. Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sind derzeit knapp 11.500 in Deutschland lebende Afghanen ausreisepflichtig. Von ihnen hätten 9.602 eine Duldung, teilte eine BAMF-Sprecherin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Freitag) mit.
»Dieser Innenminister schreckt vor nichts zurück«, warnte Clara Bünger, fluchtpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, in einer Mitteilung. Erst verletze Dobrindt mit Rückführungen von Asylsuchenden geltendes Recht an den deutschen Außengrenzen, »und jetzt will er direkt mit Terroristen verhandeln«. Allein durch diesen Vorschlag legitimiere Dobrindt die »extremistische Taliban-Regierung«. In Afghanistan würden »Frauen systematisch entrechtet, Kritiker verfolgt und brutal unterdrückt«. Der Minister bediene rechte Hetze und stärke die AfD, erklärte Bünger.
Gegenüber dem Tagesspiegel erklärte Conrad Schetter vom Bonn International Centre for Conflict Studies, dass die Bundesregierung sich mit dem von Dobrindt in Aussicht gestellten Vorgehen »ein Glaubwürdigkeitsproblem« schaffe. In den vergangenen beiden Jahren habe sich die Sicherheitslage in Afghanistan zwar etwas verbessert. »Dennoch plagen Hungersnöte das Land, die Taliban regieren mit harter Hand und missachten Menschenrechte«, sagte Schetter. Auf diese Lage verwies am Freitag auch eine Sprecherin des UN-Menschenrechtskommissars Volker Türk in Genf. »Es ist nicht angemessen, Menschen nach Afghanistan zurückzuschicken«, mahnte sie.
Derweil hat der Innenminister für den 18. Juli ein internationales Ministertreffen zum Thema Migration auf der Zugspitze angekündigt. Dabei werde es um »eine Neuordnung der europäischen Migrationspolitik« gehen, sagte ein Ministeriumssprecher am Freitag in Berlin. Ziel sei, »gemeinsam wichtige Impulse für eine härtere Migrationspolitik zu geben«. Teilnehmen sollen demnach Dobrindts Amtskollegen aus Frankreich, Polen, Österreich, Dänemark und Tschechien sowie EU-Innenkommissar Magnus Brunner.
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