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Aus: Ausgabe vom 05.07.2025, Seite 1 / Titel
Ukraine-Krieg

Drohnen über Kiew

Russland greift ukrainische Hauptstadt an, Gegenangriffe aufs russische Hinterland. BRD und Niederlande werfen Moskau Giftgaseinsatz vor
Von Reinhard Lauterbach
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Russland hat Donnerstag nacht Ziele in drei Bezirken der ukrainischen Hauptstadt angegriffen

Es war einer der heftigsten Angriffe: In der Nacht zum Freitag hat Russland Kiew mit Dutzenden Drohnen angegriffen. Die Behörden der Hauptstadt berichteten von Einschlägen in Industrie- und Infrastrukturanlagen sowie Wohngebäuden. Bis zum Mittag wurden eine Tote und 28 Verletzte geborgen. Zerstört wurden offenbar mindestens zwei Transformatorenstationen sowie Eisenbahninfrastruktur. Im Internet verbreitete Videos zeigten schwarze Rauchwolken, die sich über Stunden nicht verzogen. Die Behörden warnten davor, ohne Atemschutz auf die Straße zu gehen. Moskau sprach davon, dass der Angriff einer Drohnenfabrik im Stadtzentrum sowie einem Militärflughafen außerhalb Kiews gegolten habe. Bei ukrainischen Attacken auf Drohnenfabriken in Sergijew Possad bei Moskau und Ischewsk 1.200 Kilometer nordöstlich davon wurden nach russischen Angaben zwei Personen getötet und etwa 20 verletzt. Eine Frau starb auch bei einem ukrainischen Angriff auf Rostow am Don.

Schwere Schäden gab es offenbar auch bei Angriffen auf die Industriestadt Kriwij Rig westlich von Dnipro. Bilder zeigten auch hier eine große Rauchwolke und einen Großbrand, der über Stunden wütete, sich auf ein Waldgebiet ausbreitete und einem Wohngebiet näherte. Die ukrainische Luftwaffe meldete, eine russische Gleitbombe sei um 11.25 Uhr über dem besetzten Teil des Bezirks Saporischschja abgefeuert worden und um 11.38 Uhr ins Ziel eingeschlagen. Von Gegenmaßnahmen der ukrainischen Seite war keine Rede. Das bestätigt indirekt Vorwürfe ukrainischer Blogger, dass die Geburtsstadt von Präsident Wolodimir Selenskij inzwischen praktisch ohne Luftabwehr sei. Die Ukraine verteidigt vorrangig Kiew gegen russische Angriffe.

Außenminister Andrij Sibiga bezeichnete den Großangriff als »Zeichen der Verachtung Russlands für US-Präsident Donald Trump«. Der hatte am Donnerstag ein neues Telefonat mit Wladimir Putin geführt, aber offenbar keine Fortschritte in Richtung eines Waffenstillstands erzielt. Trump sagte nach dem Gespräch, er sei »sehr enttäuscht« von Putin. Russland erklärte, es sei an einer Verhandlungslösung interessiert, aber solange es auf der Gegenseite keine Bereitschaft gebe, auf die Bedingungen Moskaus einzugehen, werde die »Spezialoperation« fortgeführt. Ein Telefongespräch zwischen Trump und Selenskij war für Freitag nachmittag mitteleuropäischer Zeit geplant.

Unterdessen haben die Bundesrepublik und die Niederlande den Vorwurf erhoben, dass die russische Armee Giftgas eingesetzt habe. Der Auslandsgeheimdienst BND und sein niederländisches Pendant erklärten, sie hätten in jeweils eigenen Recherchen Belege dafür gefunden, dass Russland Chlorpikrin gegen verschanzte ukrainische Truppen eingesetzt habe. Ziel sei gewesen, die Soldaten in Atemnot zu versetzen und sie so aus dem Schutz ihrer Unterstände herauszuzwingen, um sie mit Drohnen angreifen zu können. Die seit dem 19. Jahrhundert bekannte Substanz war schon im Ersten Weltkrieg unter dem Namen »Grünkreuz« als Giftgas eingesetzt worden. Die Agentur Reuters, die die Meldung zunächst exklusiv brachte, schrieb dazu, sie habe keine Möglichkeit gehabt, die Vorwürfe durch eigene Recherchen zu überprüfen. Auch die beiden Geheimdienste gaben nicht an, wie sie an ihre Erkenntnisse gekommen sind.

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