Drohnen über Kiew
Von Reinhard Lauterbach
Es war einer der heftigsten Angriffe: In der Nacht zum Freitag hat Russland Kiew mit Dutzenden Drohnen angegriffen. Die Behörden der Hauptstadt berichteten von Einschlägen in Industrie- und Infrastrukturanlagen sowie Wohngebäuden. Bis zum Mittag wurden eine Tote und 28 Verletzte geborgen. Zerstört wurden offenbar mindestens zwei Transformatorenstationen sowie Eisenbahninfrastruktur. Im Internet verbreitete Videos zeigten schwarze Rauchwolken, die sich über Stunden nicht verzogen. Die Behörden warnten davor, ohne Atemschutz auf die Straße zu gehen. Moskau sprach davon, dass der Angriff einer Drohnenfabrik im Stadtzentrum sowie einem Militärflughafen außerhalb Kiews gegolten habe. Bei ukrainischen Attacken auf Drohnenfabriken in Sergijew Possad bei Moskau und Ischewsk 1.200 Kilometer nordöstlich davon wurden nach russischen Angaben zwei Personen getötet und etwa 20 verletzt. Eine Frau starb auch bei einem ukrainischen Angriff auf Rostow am Don.
Schwere Schäden gab es offenbar auch bei Angriffen auf die Industriestadt Kriwij Rig westlich von Dnipro. Bilder zeigten auch hier eine große Rauchwolke und einen Großbrand, der über Stunden wütete, sich auf ein Waldgebiet ausbreitete und einem Wohngebiet näherte. Die ukrainische Luftwaffe meldete, eine russische Gleitbombe sei um 11.25 Uhr über dem besetzten Teil des Bezirks Saporischschja abgefeuert worden und um 11.38 Uhr ins Ziel eingeschlagen. Von Gegenmaßnahmen der ukrainischen Seite war keine Rede. Das bestätigt indirekt Vorwürfe ukrainischer Blogger, dass die Geburtsstadt von Präsident Wolodimir Selenskij inzwischen praktisch ohne Luftabwehr sei. Die Ukraine verteidigt vorrangig Kiew gegen russische Angriffe.
Außenminister Andrij Sibiga bezeichnete den Großangriff als »Zeichen der Verachtung Russlands für US-Präsident Donald Trump«. Der hatte am Donnerstag ein neues Telefonat mit Wladimir Putin geführt, aber offenbar keine Fortschritte in Richtung eines Waffenstillstands erzielt. Trump sagte nach dem Gespräch, er sei »sehr enttäuscht« von Putin. Russland erklärte, es sei an einer Verhandlungslösung interessiert, aber solange es auf der Gegenseite keine Bereitschaft gebe, auf die Bedingungen Moskaus einzugehen, werde die »Spezialoperation« fortgeführt. Ein Telefongespräch zwischen Trump und Selenskij war für Freitag nachmittag mitteleuropäischer Zeit geplant.
Unterdessen haben die Bundesrepublik und die Niederlande den Vorwurf erhoben, dass die russische Armee Giftgas eingesetzt habe. Der Auslandsgeheimdienst BND und sein niederländisches Pendant erklärten, sie hätten in jeweils eigenen Recherchen Belege dafür gefunden, dass Russland Chlorpikrin gegen verschanzte ukrainische Truppen eingesetzt habe. Ziel sei gewesen, die Soldaten in Atemnot zu versetzen und sie so aus dem Schutz ihrer Unterstände herauszuzwingen, um sie mit Drohnen angreifen zu können. Die seit dem 19. Jahrhundert bekannte Substanz war schon im Ersten Weltkrieg unter dem Namen »Grünkreuz« als Giftgas eingesetzt worden. Die Agentur Reuters, die die Meldung zunächst exklusiv brachte, schrieb dazu, sie habe keine Möglichkeit gehabt, die Vorwürfe durch eigene Recherchen zu überprüfen. Auch die beiden Geheimdienste gaben nicht an, wie sie an ihre Erkenntnisse gekommen sind.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (7. Juli 2025 um 17:26 Uhr)Dass Russland Giftgas in der Ukraine eingesetzt haben soll, ist eigentlich ein längst bekannter Vorwurf. Zum Anschlag auf den russischen Offizier Kirillow vor gut einem halben Jahr gab es bereits entsprechende Meldungen. RT und selbst das ZDF berichteten damals aber auch die Sicht der russischen Seite, nämlich dass Kirillow der ukrainischen Seite den Einsatz von Chemiewaffen vorgeworfen hatte. Zuvor gab es bereits viele Gerüchte um amerikanische Chemiewaffenforschung in der Ukraine. Derart undurchsichtige Vorwürfe sollte man mit gehöriger Skepsis behandeln. Dass das gerade jetzt wieder hochgekocht wird, könnte mit Trumps relativen Rückzug aus dem Ukrainekrieg zusammenhängen. Bei einem Krieg einfach nicht mehr mitzumachen, dagegen könnten die deutschen und niederländischen Propagandageschosse vielleicht vornehmlich zielen.
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Leserbrief von Sigurd von Stockert aus Nöthen (6. Juli 2025 um 11:48 Uhr)Erstens ist sachlich folgendes festzustellen: Das angeblich eingesetzte »Chlorpikrin« = Trichlornitromethan ist nicht das »Grünkreuz«, sondern allenfalls ein Kampfstoff, der unter die Gruppe der »Grünkreuzkampfstoffe« fällt. Das klassische »Grünkreuz« wird durch das Phosgen = Carbonylchlorid repräsentiert. Dieses Gas ist sehr giftig und strömte vor 40 Jahren bei einem Unfall in einer Chemiefabrik in Indien aus. Trichlornitromethan wird im Bundeswehrslang als »Kotzgas« gehandelt. Man merkt es doch schon, dass mit dem Untergang der DDR zur »West-Kohlonie« auch die Zivilverteidigung der DDR über den Jordan ging. Soweit dazu. Weitaus merkwürdiger ist die Tatsache, dass zuerst eine Meldung über den Einsatz von Trichlornitromethan von der russischen Armee ausging. Sie fanden Reste dieser Substanz bei ukrainischen Granaten und Granatenfüllungen, die nach der Vertreibung aus dem Kursker Gebiet bei der Räumung der Gefechtsfelder von Munition gefunden wurden. Postwendend erschien im Propagandastaatssender DLF die Meldung, dass die Russen diesen Kampfstoff eingesetzt hätten. Der niederländische Geheimdienst bedient sich den zuverlässigsten Quellen, die es auf der Erde gibt, dem SBU. Ein Geheimdienst, von dem eine Frau vom Leiden nachts träumt. Wie die gesamte Ukraine ein Hort der Demokratie, der kaufmännischen Ehrlichkeit und Friedensbereitschaft, wo lediglich bei Kostümparaden Hakenkreuze und Hitlergrüße gezeigt werden. Daher vertraut der niederländische Geheimdienst auch blindrechts dem SBU. Schließlich wäre es ja peinlich, wenn herauskäme, wer in Wahrheit den Flug MH17 über der Ukraine abrupt in die ewigen Jagdgründe schickte. Als nämlich Zweifel in den Niederlanden an der offiziellen Version der Täterschaft aufkamen, kippte im Land die Stimmung urplötzlich gegen Rutte und Konsorten. Somit dürfte hinreichend belegt sein, dass es sich bei dem gegenwärtigen Vorfall um einen Sturm im Wasserglas handelt. So schnell wie die Meldung kam, verschwand sie auch wieder.
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Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (6. Juli 2025 um 06:04 Uhr)»Die Agentur Reuters, die die Meldung zunächst exklusiv brachte, schrieb dazu, sie habe keine Möglichkeit gehabt, die Vorwürfe durch eigene Recherchen zu überprüfen. Auch die beiden Geheimdienste gaben nicht an, wie sie an ihre Erkenntnisse gekommen sind.« Glaube versetzt Berge. Hat ein Geheimdienst etwa je die Unwahrheit verbreitet? Da der britsche und niederländische Geheimdienst sicher nicht selbst die behaupteten Messungen im Kampfgebiet durchgeführt haben (da bekanntlich weder GB noch die Niederlande am Ukrainekrieg beteiligt sind), gäbe es ja noch andere absolut zuverlässige Möglichkeiten der Informationsbeschaffung: Erstens die stets zutreffenden Angaben der Ukraine. Zweitens das Gutachten von Spezialisten aus London, die bereits durch die Beschaffung von garantiert unverfälschten Beweisen über den Giftgaseinsatz des Schlächters Assad ihre Kompetenz unter Beweis stellten (Beobachtungsstelle für Menschenrechte in Syrien, Sitz London). Allerdings hat man lange nichts mehr von ihr gehört. Seit in Syrien dank westlicher Hilfe Islamisten herrschen und daher alle Menschenrechte beachtet werden, gibt es da ja auch nichts mehr zu beobachten. Hilfreich bei der Klärung von Giftanschlägen des Kremls wäre das Gutachten eines anderen Sachverständigen: Es ist der auf Befehl Putins beinahe ums Leben gekommene Herr Skripal. So wurden wir doch informiert. Aber leider, leider ließ ihn der britische Geheimdienst vor seiner öffentlichen Zeugenaussage spurlos verschwinden. Wozu auch Beweise, Gerichtsverfahren und all das überflüssige Zeug, wo wir doch Reuters und dem britischen Geheimdienst auch so glauben. Aber da hätten wir ja noch die Ärzte der Charité in Berlin. Die haben ja nun wirklich Erfahrungen, russische Giftmischer zu entlarfen mit Veröffentlichung der genauen Laborergebnisse der in Deutschland vorgenommenen Untersuchungen bei der vorgeblichen Vergiftung A. Navalnys mit Nowitschok. Doch leider, leider – ärztliche Schweigepflicht.
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Leserbrief von Winfried Höna aus Leipzig (5. Juli 2025 um 10:56 Uhr)Das ist das Schöne an den Geheimdiensten, sie können Meldungen herausgeben, die kein Mensch überprüfen kann. Es ist ja geheim, wie man dazu gekommen ist. Und schon werden die Bürger manipuliert, wie es gerade zur Politik passt. Der Journalismus macht es ähnlich und verwendet auch gerne solche Worte wie »mutmaßlich, nicht verifizierbar, wahrscheinlich, angeblich« und andere mehr. Leider nicht nur die Bild-Zeitung.
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