Mythos der »Geheimanlage«
Von Knut Mellenthin
Der Abwurf von zwölf oder 14 superschweren GBU-57-Bomben am 22. Juni (Ortszeit) durch sieben Northrop-B-2-Bomber auf die unterirdischen iranischen Urananreicherungsfabriken Fordo und Natanz ist seit mehr als 15 Jahren geplant und vorbereitet worden, verriet der Generalstabschef der US-Streitkräfte, Luftwaffengeneral Dan Caine, am Donnerstag vergangener Woche auf der Website des Pentagon. Schon 2009 habe die damals noch im Bau befindliche Anlage bei Fordo das Interesse von Offizieren der Defense Threat Reduction Agency (DTRA) geweckt, und eine angeblich nur kleine Expertengruppe dieser Dienststelle habe sich seither eingehend damit beschäftigt. Der Standort Fordo liegt knapp 100 Kilometer südlich der Hauptstadt Teheran. Die DTRA – die dem US-Verteidigungsministerium angegliedert ist – sei weltweit führend auf dem Gebiet der Bekämpfung stark befestigter, tief eingegrabener unterirdischer Ziele, schreibt Caine.
Seine Mitteilungen wirken bewusst romanhaft formuliert: Ein einzelner Offizier der DRTA sei zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt des Jahres 2009 an einen Ort gebracht worden, dessen Lage ihm nicht bekannt war. »Er wurde über etwas informiert, das im Iran vor sich ging. Ihm wurden ein paar Fotos und einige hochgeheime nachrichtendienstliche Informationen über etwas gezeigt, das wie ein großes Bauvorhaben in den Bergen Irans aussah. Er bekam den Auftrag, dieses Projekt eingehend zu untersuchen, mit den Geheimdiensten zusammenzuarbeiten, um es zu verstehen, und er bekam bald einen zusätzlichen Teamkollegen.«
Von welcher Dienststelle – es muss nicht zwangsläufig eine US-amerikanische gewesen sein – die ursprüngliche Initiative ausging, um das Bauprojekt Fordo herum aktiv zu werden, und wer den nicht namentlich genannten DTRA-Offizier dafür auswählte, ist nicht Gegenstand der Erzählung des Generalstabschefs. Nicht zuverlässig geklärt ist auch der zeitliche Ablauf des Projekts in Fordo. Nach iranischen Angaben wurden die Bauarbeiten in der zweiten Jahreshälfte 2007 begonnen. Im Gegensatz dazu geht das in Washington, D. C., ansässige Institute for Science and International Security (ISIS) in seinen Veröffentlichungen davon aus, dass der Baubeginn zwischen Juni 2006 und Juni 2007 gelegen habe.
ISIS bezeichnet sich als regierungsunabhängige Einrichtung für Militärforschung, die auf Non-Profit-Basis arbeitet. Das Institut wurde 1993 von dem Physiker und Mathematiker David Albright gegründet, der zwischen 1992 und 1997 als Inspekteur der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) am irakischen Atomprogramm arbeitete. ISIS hat sich darauf spezialisiert, Berichte der Behörde zum Iran, die zuerst als »vertraulich« deklariert intern verbreitet werden, vorab zu veröffentlichen und ausführlich kritisch zu kommentieren.
Eine »Geheimanlage«, als die Fordo von westlichen Politikern und Medien anfangs dargestellt wurde, war das Projekt zu keinem Zeitpunkt. Die umfangreichen oberirdischen Infrastruktur- und Baumaßnahmen waren sogar auf kommerziellen Satellitenfotos einfach zu erkennen. Iran verteidigt aber grundsätzlich seinen Standpunkt, die in Wien ansässige IAEA – praktisch eine Unterorganisation der UNO – müsse aufgrund des zentralen Zusatzabkommens (Sicherungsabkommens) zum Atomwaffensperrvertrag, den Iran 1970 ratifizierte, erst einige Monate vor der beabsichtigten Einführung von radioaktivem Material in Kenntnis gesetzt werden.
Am 21. Dezember 2009 wurde die IAEA von iranischer Seite förmlich über die Atomanlage Fordo informiert. Damit reagierte Teheran auf seit Jahren ständig wiederholte Drohungen Israels mit Angriffen. Im Dezember 2011 startete in Fordo die Anreicherung von Uran auf 20 Prozent, die bis dahin ausschließlich in Natanz stattgefunden hatte. Als Zweck nannte Iran die Herstellung therapeutischer Produkte unter anderem zur Krebsbehandlung. Das erste wesentliche Ergebnis der Studien und Vorarbeiten der von Caine erwähnten DTRA-Kerngruppe war im Oktober 2009 die Genehmigung des Kongresses zur beschleunigten Weiterentwicklung der schließlich 14.000 Kilogramm schweren bunkerbrechenden Bombe GBU-57. Im Februar 2011 bestellte die US-Luftwaffe bei Boeing acht dieser Bomben mit Zusatzausrüstung; schon wenige Monate später begann im September 2011 die Auslieferung. Die Lücke im Arsenal der US-Streitkräfte sollte offenbar möglichst rasch gefüllt werden.
Der Ende der 1970er Jahre unter US-Präsident Jimmy Carter in Auftrag gegebene, zwischen 1988 und 2000 unter Führung von Northrop Grumman produzierte, laufend modernisierte und umgebaute Langstreckenbomber B-2 ist nach wie vor weltweit das einzige Flugzeug, das so schwere Bomben tragen kann. 2024 besaß die Luftwaffe 19 Stück davon. Die B-2 soll planmäßig noch bis 2032 im Einsatz bleiben. Benjamin Netanjahu hatte 1995, im Jahr nach Beginn seiner ersten Amtszeit als israelischer Ministerpräsident, erstmals davor gewarnt, Iran stehe kurz vor der Herstellung von Atomwaffen. Auf dieser Grundlage forderte er breit getragene internationale Maßnahmen, die er zu dieser Zeit noch nicht zwangsläufig auf Militäroperationen zuspitzte. Die Islamische Republik besaß und praktizierte damals keine der technischen Voraussetzungen für eine Waffenentwicklung, weder die Anreicherung von Uran noch die Gewinnung von Plutonium durch die Wiederaufarbeitung verbrauchter Reaktorbrennelemente. Bis August 2006 testete die Atomenergiebehörde Irans (AEOI) in Natanz hauptsächlich Gaszentrifugen und startete erst dann die Anreicherung auf einem anfangs sehr niedrigen Niveau von unter fünf Prozent.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:
Ähnliche:
- Middle East Images/IMAGO30.06.2025
Rückhalt für Netanjahu
- The White House/Daniel Torok/Handout via REUTERS26.06.2025
Krieg der Informationen
- Mohammad Ismail/IMAGO/SNA14.06.2025
»Bibis« Traum wird wahr
Regio:
Mehr aus: Schwerpunkt
-
Vertane Chance
vom 04.07.2025