Krieg der Informationen
Von Jörg Kronauer
Nach dem Waffenstillstand in Israels Krieg gegen Iran spitzen sich die Auseinandersetzungen um das iranische Atomprogramm erneut zu. Ein US-Geheimdienstbericht sowie israelische Militärquellen legen nahe, dass die Behauptung von US-Präsident Donald Trump nicht zutrifft, wonach das Nuklearprojekt durch das US-Bombardement gänzlich »ausgelöscht« worden sei. Wie es in einem Bericht des US-Militärgeheimdienstes DIA heißt, aus dem US-Medien zitieren, sei Teheran weiterhin im Besitz fast seines gesamten nuklearen Materials. Die Rede ist von rund 400 Kilogramm auf 60 Prozent angereicherten, fast waffentauglichen Urans. Auch seien die Schäden an den Atomanlagen insbesondere in Fordo geringer, als einige gehofft hätten. Die DIA geht davon aus, dass die Zeit bis zum technisch möglichen Bau einer Atombombe um weniger als sechs Monate verzögert worden sei. Die New York Times zitierte schon am Dienstag (Ortszeit) israelische Militärs, denen zufolge die unterirdischen Anlagen in Fordo nicht zerstört worden seien.
Trump, der im Mittleren Osten für Ruhe sorgen will, um den Rücken für den Machtkampf gegen China freizuhaben, war am Mittwoch sichtlich bemüht, jeden Zweifel am Erfolg des US-Bombardements zu zerstreuen. Am Rande des NATO-Gipfels in Den Haag erklärte er, das iranische Atomprogramm sei um »Jahrzehnte« zurückgeworfen worden, die Atomanlagen des Landes seien »vollständig zerstört«, anderslautende Berichte seien falsch. Außenminister Marco Rubio sekundierte – erheblich vorsichtiger –, es sei »sehr bedeutender Schaden an verschiedenen Komponenten« entstanden, Teheran sei »deutlich weiter von einer Atomwaffe entfernt«. Nach anfänglichem Widerstand – Israel hatte den Waffenstillstand zunächst zu torpedieren versucht und dies erst auf erheblichen Druck von Trump unterlassen – schlossen sich am Mittwoch auch israelische Quellen an. So erklärte Militärsprecher Effie Defrin, man habe das Atomprogramm »um Jahre zurückgeworfen«. Premierminister Benjamin Netanjahu erklärte am Mittwoch, man habe es »dem Vergessen anheimfallen lassen«.
Unterdessen zieht der nächste Konflikt mit der UN-Atomenergiebehörde (IAEA) herauf. Deren Leiter Rafael Grossi dringt darauf, so rasch wie möglich Zugang zu den soeben erst von Israel und den Vereinigten Staaten bombardierten Atomanlagen zu erhalten. Die IAEA-Inspektoren sollten den Zustand der Anlagen bewerten und die noch vorhandenen Bestände an angereichertem Uran überprüfen, verlangte Grossi am Mittwoch in Wien. In Teheran freilich ist die Neigung, die Zusammenarbeit mit der IAEA fortzusetzen, im Verlauf des Krieges erheblich geschrumpft – insbesondere, weil die Behörde zwar die Angriffe auf die Nuklearanlagen abstrakt kritisiert, nicht aber die Angreifer Israel und die USA explizit verurteilt hatte. Sie wird deshalb als noch parteiischer als schon zuvor wahrgenommen. Das iranische Parlament beschloss am Mittwoch die Aussetzung jeglicher Kooperation mit der IAEA. Dies muss allerdings noch vom Obersten Nationalen Sicherheitsrat Irans und damit vom »Obersten Führer« Ali Khamenei persönlich bestätigt werden, der damit Verhandlungsspielraum erhält.
Premierminister Netanjahu wiederum teilte am Mittwoch mit, er sehe den Kampf gegen Iran und gegen dessen Verbündete als längst noch nicht beendet an. Trotz aller »enormen Errungenschaften« habe er nicht vor, den »Fuß vom Pedal zu nehmen«; er wolle »den Kampf gegen die iranische Achse zu Ende führen«.
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