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Aus: Ausgabe vom 03.07.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Das richtige Mineralwasser

Überlebenswichtige Fragen, ausgelatschte Pfade: Rebecca Lenkiewicz’ Debütfilm »Hot Milk«
Von Marc Hairapetian
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Liebe, Wüstensand und lauwarme Milch

Es ist nicht meine wichtigste Rolle, aber ich selbst glaube an Wunderheiler. Sie haben mir in meinem eigenen Leben sogar schon geholfen«, versichert mir Vincent Perez während der diesjährigen Berlinale beim Interview im Hotel Adlon Kempinski, »deswegen habe ich die Rolle des Dr. Gómez angenommen. Ihn glaubhaft und eben nicht als Spinner zu verkörpern, war die schauspielerische Herausforderung für mich.«

Der Darsteller aus Historienfilmen wie »Cyrano von Bergerac« (1990), »Die Bartholomäusnacht« (1994) oder »Fanfan, der Husar« (2003), der in Raul Ruiz’ Proust-Film »Die wiedergefundene Zeit« Charlus’ jugendlichen Liebhaber Morel spielte und als Transperson in Patrice Chéreaus Drama »Wer mich liebt, nimmt den Zug« (1998) überzeugte, ist mittlerweile auch schon 62 Jahre alt. Die Mitwirkung des Schweizers ist leider so ziemlich der einzige Lichtblick in Rebecca Lenkiewicz’ Regiedebüt »Hot Milk«, das auf Deborah Levys gleichnamigem Roman basiert und schon im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale nicht gerade Begeisterungsstürme entfachte.

Durch ihn kommt ein wenig Geheimnis in die ansonsten recht öde Coming-of-Age-Geschichte der an mysteriösen Lähmungserscheinungen leidenden Rose (Fiona Shaw) und ihrer sich nur langsam von ihr emanzipierenden Tochter Sofia (Emma Mackey). Im heißen Sommer der spanischen Hafenstadt Almería erhoffen sie sich schamanische Hilfe von ihm. Sofia, die ihr Anthropologiestudium auf Eis gelegt hat, um ihre im Rollstuhl sitzende Mutter zu betreuen, wird durch die aufgeheizte Atmosphäre zu Alleingängen der besonderen Art inspiriert. So lässt sie sich auf eine Affäre mit der freigeistigen Touristin Ingrid (Vicky Krieps) ein. Danach bricht sich die aufgestaute Wut gegen ihre herrische und besserwisserische Mutter Bahn.

Was sich von der Ausgangslage zu einem klassischen Horrorthriller à la »Was geschah wirklich mit Baby Jane?« (Robert Aldrich, 1962) hätte entwickeln können, erschöpft sich recht bald in einer Reihe von banalen Dialogen über das Einkaufen des richtigen Mineralwassers im Supermarkt und den sehr halbherzigen Wutausbrüchen der mit ihrer Rolle etwas überforderten Emma Mackey. Auch in der Drehbuchliebesbeziehung zu Vicky Krieps kocht, um beim Filmtitel zu bleiben, die heiße Milch keineswegs über. Geradezu sinnbildlich dafür ist, wenn am Ende die Britin von ihrer neuen Freundin zu einem Berlin-Besuch aufgefordert wird. Man könnte einen Spaziergang vom Brandenburger Tor zum Checkpoint Charlie machen, schlägt sie vor. Während der Berlinale-Pressevorführung sorgte dieser Vorschlag, ausgerechnet die langweiligste Touristenroute der Hauptstadt auszuwählen, für schallendes Gelächter beim ortskundigen Publikum. Vincent Perez hätte, so sagt er mir, auch lieber einen anderen Pfad eingeschlagen.

»Hot Milk«, Regie: Rebecca Lenkiewicz, Australien/Griechenland/UK 2025, 93 Min., Kinostart: heute

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