Gegründet 1947 Donnerstag, 3. Juli 2025, Nr. 151
Die junge Welt wird von 3019 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 03.07.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Koks und Koteletts

Was getan werden muss: Damian John Harpers knallharter Drogengangsterfilm »Frisch«
Von Ronald Kohl
11.jpg
Vom großen Geld träumen: Mirko (Franz Pätzold, l.) und Kai (Louis Hofmann)

Berlin wurde zu seiner zweiten Heimat – wegen der Filmförderung. Aufgewachsen ist der Regisseur Damian John Harper in Boulder, Colorado. Er weiß, wie wichtig es ist, in der Fremde die richtigen Leute zu kennen, und vor allem: keine falschen Freunde zu haben, ein Thema, das Harper gern aufgreift.

Wie sein Debütfilm »Los Angeles« aus dem Jahr 2014 spielt auch »Frisch« im Gangstermilieu. Doch stammt die Idee dieses Mal nicht von Harper selbst. Was ihn bewogen hat, den Roman des schottischen Autors Mark McNay zu verfilmen, wird bereits im Prolog deutlich: Wie ist es, wenn nicht eine ganze Gang von dir bedingungslosen Gehorsam und Treue bis in den Tod fordert, sondern nur eine einzelne Person, dein älterer Bruder? Romanautor McNay hat diesen Charakter, der in der Verfilmung Mirko (Franz Pätzold) heißt, als »Karriereverbrecher« bezeichnet.

In der Tat befindet sich Mirko zu Beginn auf einem aufsteigenden Ast. Er vertickt Drogen und macht ordentlich Kasse. Der jüngere Bruder Kai (Louis Hofmann) muss sich für sein bisschen Glück mächtig einen abstrampeln. Während er morgens durch Blut watet, liegt der Große noch mit seiner Schickse in den Federn. Eine Bezeichnung, die ich normalerweise nicht verwenden würde, doch bereits in der Auftaktszene lässt Regisseur Harper, der auch das Drehbuch verfasst hat, Mirko zu seinem kleinen »Brudi« sagen: »Det machen wir ganz stiekum.« Sie sind zwei Kleinkriminelle, die nachts auf einem spärlich beleuchteten Parkplatz vom großen Geld träumen, während Regen auf das Dach ihres geklauten BMWs prasselt.

Bei meiner Recherche zu Damian Harper bin ich auf den Titel eines seiner ersten Kurzfilme gestoßen. »Teardrop«, also Träne, heißt der kleine Streifen. Es war nicht allzu schwierig, »Teardrop« auf Youtube zu finden. Auch hier beginnt alles auf einem dunklen, regennassen Supermarktparkplatz. Ein Mann verfolgt eine Frau, die ihre Einkäufe zum Wagen bringt. Sie will ihm schon ein Ding mit dem Elektroschocker verplätten, als er sich als Angestellter des Marktes ausweist und ihr eine Packung eingeschweißter Steaks entgegenstreckt, die sie an der Kasse vergessen haben soll. Die junge Lady schüttelt angewidert den Kopf. Sie ist Veganerin. Bis jetzt zumindest.

In Harpers neuem Werk spielt Fleisch neben den Drogen eine zentrale Rolle. »Frisch« ist die Bezeichnung der Abteilung, in der Kai, vermutlich heißt er so wegen Kain und Abel, jeden Tag schuften muss. Das hat Harper unverändert aus dem Roman übernommen. Allerdings ließ der schottische Autor seinen Helden in einer Hähnchenschlachterei arbeiten. Im Film werden Schweine abgestochen und zerlegt. Krasse Maloche. Das Schlachthaus steht irgendwo zwischen Duisburg und Dortmund.

(In »Teardrop« wurde das Fleisch mit einer Kettensäge filetiert. Menschenfleisch übrigens. Beim Abspann merkte ich dann, dass ich im falschen Film gelandet war.)

Die Kohle, die Kai mit Koks und Koteletts verdient, reicht hinten und vorne nicht. Seine kleine Tochter kommt bald in die Schule. Sie trägt eine Brille, und ihre Mutter hat Angst, dass sie deshalb gehänselt werden wird. Die Kosten für die Augen-OP sind enorm. Außerdem lässt sich die Mama auch gerne mal ausführen. Beinahe jeden Freitag abend greift Kai in die Schatulle mit den großen Scheinen, die ihm sein Bruder anvertraut hat, bevor er eingefahren ist. Falls jetzt jemand fragen sollte: »Ja, wie denn nun, ist er drin oder ist er draußen, ist er auf dem aufsteigenden oder schon wieder auf dem absteigenden Ast?«, dem sei gesagt: Das weiß man beim Schauen des Films auch nicht immer so genau. Aber, und das ist jetzt wirklich mal ein ganz großes Aber – aber das ist auch egal. Denn erstens checkt jeder, der nicht komplett zugedröhnt ist, die Story sowieso recht schnell. Und zweitens kommt es Harper nur auf eines an: die Spannung und den Horror ganz sachte zu steigern.

Wir, sein Publikum, wollen ganz bestimmt nicht, dass das passiert, was am Ende unweigerlich passieren muss. Aber scharf auf den nächsten Kick sind wir schon. Und Harper liefert.

»Wir sind nicht nur Geschichtenerzähler«, hat er mal über seinen Job gesagt. »Wir sind auch Kaufleute.« So ein Blödsinn! Er ist kein Kaufmann. Er ist ein Dealer. Er fixt uns an. Und dann steigert er allmählich die Dosis. Ähnlich wie bei Mirko, der nach und nach die Kontrolle über den eigenen Konsum verliert.

Als der einmal aus dem Bau kommt, hat seine Ische gerade etwas mit einem anderen am Laufen. Mirko schlägt den Typen zu Brei und bumst ihn dann in den Arsch, und zwar so heftig, dass am Ende Blut und Sperma aus dessen Po nur so herausspritzen. »Ich bin keine Schwuchtel!«, sagt er schwer atmend zu Kai. »Doch was getan werden muss, muss getan werden, Brudi!« Dann steckt er sich die Zigarette danach an.

Weil wir die Szene mit Kais Augen erleben, ist jedes Kettensägenmassaker dagegen leichte Kost. Denn auch wir müssen an die 10.000 Euro denken, die jetzt nicht mehr in der Schatulle liegen. Und ausgerechnet heute kommt Mirko aus dem Knast. Und seine erste Frage wird sein: »Wo ist meine Kohle? Und verarsch mich nicht, Brudi!«

Einen Vorschuss hat Kai nicht bekommen, als er flehentlich bei seiner Chefin darum bettelte. Aber immerhin weiß er, wie ein Schwein geschlachtet wird. »Was getan werden muss, muss getan werden, Brudi!«

»Frisch«, Regie: Damien John Harper, BRD 2024, 98 Min., Kinostart: heute

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.