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Aus: Ausgabe vom 03.07.2025, Seite 8 / Ansichten

Doppelt verlieren

China besucht EU. EU im Dilemma
Von Jörg Kronauer
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Während China sich diplomatisch zeigt, hat die EU schon im Vorfeld auf Konfrontation gesetzt (Brüssel, 2.7.2025)

Die EU erlebt unruhige Tage. Während Chinas Außenminister Wang Yi am Mittwoch in Brüssel Gespräche führte, bei denen es auch um die zukünftigen Wirtschaftsbeziehungen des europäischen Staatenkartells mit der Volksrepublik ging, traf EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič in Washington zu Verhandlungen über eine Lösung im transatlantischen Zollkonflikt ein. Bei den Zusammenkünften auf beiden Seiten des Atlantiks steht viel auf dem Spiel; und wie so oft: Zumindest indirekt hängen beide eng miteinander zusammen.

Die Trumpsche Zollattacke hat die EU, die von ihrer Exportvormacht Deutschland auf eine offensive Ausfuhrorientierung getrimmt worden ist, hart getroffen. Zugespitzt bleiben ihr zwei Optionen: Entweder findet sie einen gedeihlichen Ausgleich mit Washington, der ihr den US-Markt sichert, oder sie muss nach Absatzalternativen suchen. Letzteres geht faktisch nicht ohne den 1,4 Milliarden Menschen starken chinesischen Markt. Daher die Bemühungen vom Frühjahr, die Beziehungen zur Volksrepublik ein wenig zu verbessern. Jetzt aber ergibt sich im Hinblick auf die erste Option vielleicht eine gewisse Chance. In allgemeiner Form hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das auf dem G7-Gipfel in Kananaskis angedeutet, als sie den USA vorschlug, nicht mit Zöllen auf die EU einzudreschen, sondern gemeinsam mit ihr den Wirtschaftskrieg gegen China zu forcieren. Darüber, wie man das tun solle, schwieg von der Leyen sich aus.

In China, aber auch in Wirtschaftskreisen in Europa kursieren Vermutungen, von der Leyen könne einen Deal nach dem Vorbild der Vereinbarung zwischen den USA und Großbritannien anstreben. London erreichte bereits im Mai eine umfassende Einigung mit Washington, die eine weitreichende Senkung der Zölle enthielt. Ein womöglich entscheidender Faktor findet sich im Klein-, besser gesagt, Ungedruckten. Denn der britische Premierminister Keir Starmer hat zugesagt, dass sein Land bei der künftigen Ausfuhr von Waren in die USA selbstverständlich US-Sicherheitsvorschriften für die Lieferketten penibel einhalten werde. Das kann sich in der Praxis als Ausschlussklausel für Zulieferer aus China erweisen: ein weiterer kleiner Schritt in Richtung Decoupling.

Bietet die EU Washington das Gleiche an? Die Vermutung, dem könne so sein – und China wolle das natürlich verhindern –, gilt manchen Wirtschaftsvertretern als Hauptgrund dafür, dass Beijing so eindringlich mit den Exportkontrollen auf seltene Erden winkt. Unabhängig davon darf man die beleidigenden Vorwürfe gegen Beijing, die von der Leyen unlängst in Kananaskis und die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas am Mittwoch in Brüssel von sich gaben, wohl als Versuch werten, Trump das antichinesische Potential der EU und zugleich ihre strikte transatlantische Loyalität zu demonstrieren. Sie wären dann sozusagen – mit Blick auf die Zölle – das Pendant zum Kniefall des Herrn Rutte mit Blick auf die NATO. Ob der Plan aufgeht? Eine Garantie dafür gibt es nicht. Man kann auch doppelt verlieren.

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