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Aus: Ausgabe vom 02.07.2025, Seite 10 / Feuilleton
Meinungsfreiheit

»Ich bin Mohammed«

Angriff auf das türkische Satiremagazin Leman
Von Nick Brauns
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Erst nach langer Untätigkeit ging die Polizei gegen die aufmarschierten Islamisten vor (Istanbul, 1.7.2025)

Nach Veröffentlichung einer angeblichen Mohammed-Karikatur sieht sich das bekannteste Satiremagazin der Türkei, Leman, Angriffen von der Regierung, Justiz und von militanten Islamisten ausgesetzt. Ein Verbot des seit 1991 bestehenden linksgerichteten Magazins wird befürchtet.

Der Zeichner der »abscheulichen« Darstellung sowie der Graphiker, Chefredakteur und Geschäftsführer des Magazins seien wegen »Verunglimpfung religiöser Werte« festgenommen worden, gab Innenminister Ali Yerlikaya am Montag bekannt. Gegen weitere leitende Mitarbeiter, darunter Chefredakteur Tuncay Akgün, wurden Haftbefehle erlassen. Die Polizei besetzte die Redaktionsräume in der Fußgängerzone İstiklal Caddesi, die Internetseite von Leman ist gesperrt.

Die beanstandete Karikatur vom 26. Juni zeigt zwei über einer bombardierten Stadt mit Engelsflügeln schwebende Personen, die sich mit »Salem aleikum, ich bin Mohammed« und »Aleikum salam, ich bin Musa« begrüßen. Das Bild zeige keineswegs den Propheten Mohammed, teilte Leman auf X mit. Dargestellt sei vielmehr ein Muslim, der bei der Bombardierung Israels getötet worden sei. Den Namen Mohammed trügen schließlich über 200.000 Menschen weltweit.

Eine Tarnorganisation der militant-salafistischen Front der Vorkämpfer für den Islamischen Großen Osten (IBDA-C), die für einen Scharia-Staat in Anatolien kämpft, rief zum Protest vor der Leman-Redaktion auf. Unter Parolen wie »entweder sie sterben oder wir sterben«, »Ungläubige in die Hölle« und »kemalistische Hunde werden zur Rechenschaft gezogen« attackierten rund 300 Islamisten in der Nacht zum Dienstag eine Bar, die von Leman-Mitarbeitern besucht wird, sowie umliegende Cafés. Die Polizei ließ den Mob zuerst stundenlang gewähren, bevor sie die Menge mit Gummigeschossen und Tränengas zerstreute. Über den Innenstadtbezirk Beyoğlu wurde für Dienstag ein Versammlungsverbot verhängt.

Die Attacken lösten Erinnerungen an das tödliche Attentat auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo nach Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen im Jahr 2015 aus, aber auch an das Pogrom von Sivas, das sich diesen Mittwoch zum 32. Mal jährt. Am 2. Juni 1993 hatten Islamisten 33 alevitische Künstler und Schriftsteller in ihrem Hotel verbrannt, während die Polizei tatenlos zusah.

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