Gegründet 1947 Mittwoch, 2. Juli 2025, Nr. 150
Die junge Welt wird von 3019 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 02.07.2025, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: Fronde

Von Felix Bartels

Manchen reicht es schon, nein zu sagen. Impulsive Negation indessen kann nichts von Belang hervorbringen, in ihr geht zusammen, was nicht zusammengeht, ganz progressiv und ganz reaktionär zugleich. Wo sie sich organisiert, kann von einer Fronde gesprochen werden. Der Begriff stammt aus der Frühen Neuzeit, für die Jetztzeit nutzbar gemacht hat ihn Peter Hacks: »Kein Punkt ist vom Jetzt weiter entfernt als der, wo Übereilung und Erinnerungsseligkeit sich touchieren. Für den Pakt aller, die das Falsche meinen, den Verbund der Abweichungen, besitzt die Sprache das Wort Fronde.« Eine Negativkoalition also, die sich nur in der Ablehnung einig ist.

Fronde bedeutet Schleuder und diente als Schlagwort während der Regentschaft Mazarins. Ab 1648 hatten bürgerliche Stände in Paris den Aufstand geprobt, ab 1650 der Adel auf dem Land. Im Absolutismus wurde ein Gleichgewicht zwischen den um die Vorherrschaft kämpfenden Klassen konserviert, die Entwicklung zum reinen Kapitalismus gedrosselt, der feudale Adel sukzessiv entmachtet. Bürgerliche Revolution vollzog sich mehr oder weniger kontrolliert. Dass Richelieu, Mazarin und Louis XIV. diesen objektiven Transformationscharakter nicht im Sinn hatten, ändert nichts daran, dass sie in seinem Sinne handelten.

In Deutschland formierte sich unterm territorialen Bonapartismus ebenfalls eine Frondestruktur. Rückgewandte Romantik (Novalis, Savigny, Schlegel) war lose mit der Nationalbewegung (Fichte, Arndt, Jahn) verschränkt. Es sei »des Deutschen jetzige Ehre, welche die Ehre der älteren Vorzeit, des Mittelalters und der neueren Zeit in sich fasst«, rief Carové 1817 auf dem Wartburgfest. Ähnlich unter sozialistischen Verhältnissen. In der Opposition der DDR fanden sich, frustriert über reale Missstände, reaktionäre und hyperprogressive Kräfte. Solche, die die sozialistische Revolution rückgängig machen wollten, und solche, denen sie nicht sozialistisch genug war.

Selbst heutige Politik, wo von absolutistischer Lage keine Rede sein kann, scheint durch frondistische Mechanismen bestimmt. In den Querdenkern verbinden sich progressive und reaktionäre Tendenzen, alle paar Jahre wird eine neue Querfront aufgelegt, der Postkolonialismus, in dem progressiver Anspruch und eine Kopflangerschaft zugunsten weiter weg hausender Reaktion zusammenkommen, macht dem Marxismus Raum streitig, bei der Covid-Linken nahm ebenso wie bei der NATO-Linken linksradikale Rhetorik Beziehung mit kapitalismusaffiner Haltung auf. Im imperialistischen Zeitalter ist die Mitte abhanden, globales Kapital als Klasse hat gesiegt. Die partikulare, zum Frondieren neigende Seele indessen ist geblieben, sie kämpft zur Not auch gegen eine nicht vorhandene Mitte.

So sehr eine Fronde einer konkreten Lage entspringt, ins Werk gesetzt wird sie – auch darauf hat Hacks hingewiesen – von einem bestimmten Typus. Nicht als Organisationsform einer klaren Bewegung, nicht als entwickelte Ideologie, als Ausdruck einer diffusen Stimmung: Tiegel für Charaktere, die mit der Welt hadern, um nicht mit sich hadern zu müssen. Partikulare Kritik an einem Ganzen, ohne es im mindesten begriffen zu haben, ist, was alle Frondeure aller Zeiten und aller Orte eint. Unfähigkeit zum Begriff trifft auf »malkontente Selbstüberhebung« (Hacks), oder, wie Goethe dem Kanzler Müller anvertraute: »Es gibt ein Organ des Misswollens, der Unzufriedenheit in uns, wie es eines der Opposition, der Zweifelsucht gibt. Je mehr wir ihm Nahrung zuführen«, desto »mächtiger wird es«, bis es »verderblich um sich frisst«.

In der Fronde erhält partikulares Denken seine Form, diese Form aber wirkt zurück auf das Denken. Aus der Koalition der Einseitigen wird ein Bündnis von Leuten, die das Nebeneinander disparater Ideen internalisieren. In Köpfen, wo einst Wüste herrschte, entsteht vermittels täglicher Anpassungsarbeit ein unkrautwuchernder Garten. Wo sie praktisch wird, tendiert Einseitigkeit zu Beliebigkeit. Zum unbeholfenen Versuch, alle möglichen und unmöglichen Anwürfe gegen ein Feindbild unter einen Hut zu bringen.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Mehr aus: Feuilleton