Aserbaidschan eskaliert
Von Reinhard Lauterbach
Berichte über verschiedene »unfreundliche Akte« Aserbaidschans gegen Russland gab es in den letzten Tagen und Wochen schon mehrfach. Aber es war und ist von außen schwer einzuschätzen, was die wirklichen Gründe dafür waren. Denn eine Razzia gegen das aserbaidschanische kriminelle Milieu in Jekaterinburg kann allenfalls ein gerade passender Vorwand gewesen sein, um die Eskalation auf das halboffizielle Niveau zu heben: mit der Absage von russisch-aserbaidschanischen Kulturveranstaltungen und zuletzt der Razzia im Bakuer Büro von Radio »Sputnik«. Ob die beiden dort festgenommenen Mitarbeiter des Studios Journalisten waren oder FSB-Agenten, wie die aserbaidschanische Seite behauptet – wer will das entscheiden? Manchmal stimmt ja auch beides.
Es bleibt die Frage, warum Aserbaidschan jetzt auf Konfrontationskurs gegenüber Russland geht, nachdem es jahrelang korrekte Beziehungen zu Moskau gepflegt hatte. Fühlt es sich durch Russlands mehr als windelweiche Haltung im aserbaidschanisch-armenischen Krieg des letzten Jahres ermutigt? Aber warum, wenn es Russland auch so schon zum wohlwollenden Stillhalten genötigt hat? Selbst wenn Baku, wie manche in der Region behaupten, sich auf einen nächsten Krieg gegen Armenien vorbereitet, um das Land vom Iran abzuschneiden und selbst einen direkten Landkorridor in die Türkei zu gewinnen, wäre die Wahrscheinlichkeit wohl gering, dass Russland jetzt mit aller Macht seinem Immer-noch-Alliierten Armenien beistehen würde.
Allerdings soll Aserbaidschan Israel bei seinen kürzlichen Angriffen auf den Iran logistische Unterstützung gewährt haben. Vielleicht rekrutierte sich ja auch das engmaschige Agentennetz, über das Israel erkennbar im Iran verfügt, aus Angehörigen der aserbaidschanischen Minderheit im Iran. Aber gesicherte Informationen hierzu gibt es nicht. Wenn man hypothetisch dieser Spur folgt, dann wären die strategischen Beziehungen Russlands zum Iran – die logistisch über das Kaspische Meer und damit vor der aserbaidschanischen Haustür verlaufen – das eigentliche Ziel der Verschärfung.
Aber das erklärt noch nicht das Motiv. Denn auch Russland hat gegenüber Aserbaidschan eine ganze Reihe von Druckmitteln. So führt eine wichtige Exportpipeline für aserbaidschanisches Öl in den russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk. Mit deren Schließung würde sich Russland allerdings auch selbst schädigen. Russland könnte auch die nicht unbeträchtliche aserbaidschanische Diaspora im Lande unter Druck setzen. Aber was hätte es davon außer ethnischen Spannungen, die niemand gebrauchen kann?
Oder ist das Ganze vielleicht die Eröffnungsrunde eines neuen Great Game mit dem Ziel, a) Russland und den Iran auseinanderzubringen und b) die russische Position im ethnisch hochgradig heterogenen Nordkaukasus zu schwächen? Hat da jemand dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew ein unwiderstehliches Angebot gemacht? Vielleicht kommt es ja bald heraus.
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