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Aus: Ausgabe vom 28.06.2025, Seite 11 / Feuilleton
Literatur

Unbekanntes Heißgetränk

Bachmannpreisimpressionen
Von Barbara Eder
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In Österreich haben die Schüsseln alle einen Sprung: Max Höfler liest in der Studiomittagshitze

Klagenfurt, Tag eins. Die Hitzewelle macht vorm ORF-Theater nicht halt, die Jury schwitzt zwischen Erkenntnis und Erschöpfung. An den Studiowänden kleben Porträts vergangener Preisträger, überlebensgroßen Briefmarken gleich, darunter Wolfgang Hilbig und Kurt Drawert. Man diskutiert demokratisch darüber, was Demokratie zerstört. Verena Stauffers mythologischer Text »Die Jäger von Chitwan« zum Beispiel, in dem Tiger Hunde fressen, ein nepalesischer Elefant Ronaldo heißt und russische Desinformationskampagnen wie Schneeflocken auf westliche Staaten niedergehen. Philipp Tingler, sichtlich geplättet: »Worum geht es?« Klaus Kastberger, sichtlich genervt: »Ich bin ja nicht da, um eure Arbeit zu machen.« Ein Wortwechsel zu Fragen der Arbeitsteilung, den man auf T-Shirts drucken möchte.

Der Tag fing noch mit konstruktiven Ezzes an. Fatima Khan schrieb in »Madonna in den Trümmern« einen Brief an ihren Vater – ein Text zwischen Familientrauma und Trümmerästhetik, noch dazu »wie eine Kirche montiert« (Mithu Sanyal). Zu ihrem »Abba«, mit dem sie in einem »salzarmen Haushalt« aufgewachsen ist, notiert sie: »Deine Sprache, dein Satzbau, deine Schläge sind in mich und meinen Körper eingemeißelt. Vielleicht ist das meine Vatersprache, und vielleicht habe ich deshalb so lange gezögert mir einzugestehen, dass ich schreiben will. Ich habe Angst, so wie du zu sein.«

Die Jury lobte die sprachliche Verdichtung, wies aber auf Brüche im Briefmodus hin. Philipp Tingler witterte verpasste Chancen, die vor der Lesung einer textüberlängenbedingten Kürzung zum Opfer gefallen sind – zuvor gab es Fluchtlinien, durch die sich das verabsolutierte Vatergesetz hätte brechen lassen: Neben »Abba«, zuerst Journalist bei der Deutschen Welle und später stellenlos, gab es noch eine »Nanny«.

Nefeli Kavouras führte mit »Zentaur« das Motiv des Abschieds weiter – eine Tochter und ihre Mutter begleiten einen Vater in den Tod. Der Text changiert zwischen pragmatischer Pflegeroutine und surrealer Tierwerdung: »Mein Mann ist ein Oktopus«, sagt die Mutter zu Beginn, später wird er zum wiehernden Pferd. Ruth, die Pflegende, denkt über Rosinen nach und stellt fest, dass auch Sterben danach riechen könnte. Tingler sprach von einer »seltsamen Mischung aus Eindringlichkeit und Literarizität«, Kastberger nannte »Zentaur« »einen der besten Texte über Tod und Sterben seit Jahren«.

In der Mittagshitze trat Max Höfler in grünen Boxershorts vor das Lesepult. Mit »Lambada tutto gas« stießen die Leser auf Scherben, die nicht mehr zusammengefügt werden können – ein psychedelisch anmutendes Stream-of-Consciousness-Lamento mit Chat-GPT-Passagen über eine zerbrochene Müslischale. Vielleicht ist es diese Schale, in der Österreich liegt, denn »in Österreich hat immer jemand einen Sprung in der Schüssel« (Kastberger). Ein Spektakel von weltumspannenderem Ausmaß wäre ebenso erwartbar gewesen, vielleicht sogar die Ankunft von »20 Leuten in Pyjamas mit blutenden Füßen« (Strässle). Tinglers Tip war trefflicher: »Das ist ein Kastberger-Text« – mit Zwischentiteln in Form von Bildtafeln. In einer davon bewirtschaften Katzen eine Puppenküche nebst unbekanntem Heißgetränk, im Folgebild wird daraus Hochprozentiges; das letzte Tableau, das Höfle nach seiner Lesung hochhielt, blieb unzweideutig: zwei stilisierte Hände, die ein Gewehr zerbrechen.

Mit »Adlergestell« präsentierte Laura Laabs den ersten Text aus Ostberlin, in dem sich die DDR auflöst wie Center-Shocks in der Mundhöhle. Die Zeile »die erste Klasse nach Ende des Klassenkampfes« machte Mithu Sanyal sprachlos vor Bewunderung; am Ende schwenkt die Protagonistin eine Fahne mit Bundesadler. Wenn der Anlass dazu eine »Pegida«-Demo wäre, so Strässle, schieße sich der Text selbst in die Knie. Aber auch dies blieb bloß angedeutet. Auf einen »Ausflug mit toten Mädchen«, so heißt es im letzten Absatz, habe die Icherzählerin jedenfalls keine Lust. Die Bücher, auch die von Anna Seghers, stehen seither stumm im Regal.

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