Es wurde alles gesagt
Von Hagen Bonn
Gina Pietsch, Sängerin und Schauspielerin, und immer gern gesehen in der Maigalerie der jungen Welt, begab sich am Donnerstag mit dem Dirigenten, Pianisten und Komponisten Fabio Costa auf die Spuren des legendären Mikis Theodorakis. Der wäre am 29. Juli 2025 100 Jahre alt geworden, und mehr Gründe müssen wir nicht aufführen, um den griechischen Volkshelden, Künstler und politischen Aktivisten mit einem Liederabend zu würdigen. Allerdings hatte der Held selbst so seine Zweifel an Sinn und Zweck von Geburtstagsfeiern: »Wieso sollte ich mich auf einen einzigen Tag beschränken? Das ganze Jahr ist mein Geburtstag.«
Um die Bedeutung dieses Mannes nur zu erahnen, verweise ich auf das Jahr 2021. Als Theodorakis mit 96 Jahren am 2. September verstarb, wurde in seiner Heimat eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen. Pietsch und Costa erzählen singend und spielend aus dem Leben des Künstlers und linken Aktivisten. Über seine Kindheit und wie er als Gymnasiast in seinem Ausweis amtlich vermerken lässt, dass er »Komponist« sei; über den Kampf im Zweiten Weltkrieg gegen die Besatzer auf der griechischen Insel Kreta, die folgende Haft, Folter – und schließlich die Freiheit. Und diese hatte für ihn immer das letzte Wort! Bei dem Lied »Bäume, ihre Brüder« (1966) musste Pietsch dem Publikum Anerkennung zollen: »Ich habe das bemerkt, einige von euch kennen das, haben mitgesungen.« Und das blieb an diesem Abend durchgängig so. Das Publikum in der gut besuchten Maigalerie war demnach ein Fachpublikum. Und das will etwas heißen, denn Mikis Theodorakis hat über 1.000 Werke geschaffen, darunter Symphonien, Ballette, Opern, Schauspielmusiken und eben auch zahlreiche Lieder.
Über die künstlerischen Qualitäten von Pietsch und Costa müssen wir nichts weiter verbreiten. Ach, und dann dieses Adjektiv, dieses »kongenial«: Costas Piano wüsste nicht recht, was es da solle ohne die Stimme der Pietsch und deren Vortrag. Aber es verhält sich auch umgekehrt, denn die donnernde Wucht der Akkorde oder die zarten, leisen Flügelschläge des Pianos machen die Sache erst rund, kurzum, künstlerische Souveränität vom ersten bis zum letzten Ton. Am meisten imponiert am Ende aber doch, dass beide Musiker trotz jahrzehntelanger Erfahrung nie routiniert klingen. Die Lebendigkeit der Interpretationen ist das eigentliche Ereignis auf der Bühne. Apropos Lebendigkeit. Rechts auf der Bühne stand konsequent steif und stumm eine Statue auf einem hölzernen Podest. Genauer, »ein Modell für eine Statue zu Ehren des großen griechischen Komponisten und Kämpfers für die Freiheit, Mikis Theodorakis«.
Dem bildenden Künstler Thomas J. Richter ist nämlich anlässlich seines 70. Geburtstages in der Maigalerie gerade eine Werkschau gewidmet: »Wenn Kommunisten träumen«. Was es mit der Statue genauer auf sich hat, werden wir hier demnächst besprechen. Ganz aktuell. So aktuell wie die vorgetragene Interpretation vom »Lied der Lieder« aus Theodorakis’ »Mauthausen-Kantate« (1965), die »Hymne der Widerstandsbewegung«, wo sich eine Liebende fragt, wo ihr Mann denn sei: »Man hat ihn fortgebracht und keiner weiß, wohin …« Und Gina Pietsch fährt fort, die schrecklichen Orte aufzuzählen, die Sinnbilder für den Tod, den Terror, die da sind Auschwitz, Dachau und … ruft die Sängerin: »Gaza!« Und so wurde an diesem Abend alles gesagt, was gesagt werden musste.
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