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Aus: Ausgabe vom 25.06.2025, Seite 2 / Inland
Umweltschutz

»Der Wald kann über Nacht zerstört werden«

Hamburg: Bürgerinitiative setzt sich für den Schutz des Wilden Waldes ein. Senat will Bagger rollen lassen.Ein Gespräch mit Rahime Sürücü
Interview: Martin Dolzer
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Demonstration gegen die Abholzung Hamburger Wälder (14.2.2020)

Die Bürgerinitiative »Weltnatur« hat am Wochenende ein Fest zur Rettung des Wilden Waldes in Hamburg-Wilhelmsburg veranstaltet. Hier soll ein Stück Stadtwald für das Bauprojekt Spreehafenviertel zerstört werden. Worum geht es genau?

Wir sind der Meinung, dass der Wilde Wald aus dem Baukonzept Spreehafen herausgenommen werden muss. Die verantwortliche IBA Hamburg GmbH ist eine hundertprozentige Tochter der Stadt Hamburg. Diese Projektentwicklungsgesellschaft ist bereits an der Zerstörung mehrerer Biotope beteiligt. Obwohl der Leerstand in Hamburg an Wohnungen und Büroräumen eklatant ist, werden aus reiner Profitgier weiter Wohnungen gebaut. Tatsächlich werden in der Hansestadt derzeit 700.000 Quadratmeter Büroräume langfristig nicht genutzt. Viele Wohnungen werden hier nur für ein paar Tage im Jahr als Urlaubsresidenz bewohnt – von Reichen. Die Millionäre können ihr Tennis gerne woanders spielen. Der Wald aber, der gehört uns allen.

Welche Funktion hat der Wilde Wald für Umwelt und Klima?

Der Wilde Wald ist fast zehn Hektar groß. Das entspricht in etwa der Größe von 25 Fußballfeldern. Aufgrund seiner Lage im Industriegebiet hat er eine große Bedeutung für die Wilhelmsburger. Die können so in wenigen Minuten dem Stress der Stadt entfliehen und dort die Natur genießen. Denn hier filtern mehr als 2.000 Waldbäume Staub, Lärm, Luftschadstoffe sowie die durch Verkehr, Hafen und Industrie verursachten Verschmutzungen. Der Wilde Wald ist ein zu erhaltendes Biotop. Deswegen sollten wir endlich unsere Gier im Zaum halten. Denn sogar das Unkraut ist für den Umweltschutz nützlich. Der Wald ermöglicht Kitas und Schulklassen Bildung, Naturerlebnisse und Ruhe. Außerdem fördert er die Gesundheit.

Wie akut sind die Räumungspläne des Senats?

Obwohl die Partei Bündnis 90/Die Grünen im diesjährigen Wahlkampf um die Hamburger Bürgerschaft die Waldrettung als Wahlversprechen propagierte, haben SPD und Grüne die Abholzung des Wilden Waldes in dem Ende April unterschriebenen Koalitionsvertrag trotzdem aufgenommen. Das ist traurig. Seit der öffentlichen Planungsanhörung am 9. August 2021 wurden unsere Fragen zur Umweltverträglichkeit der Gesamtplanung und weiteren Aspekten vom Senat einfach nicht beantwortet. Tatsächlich wissen wir gar nicht genau, wann der Wald abgeholzt werden soll. Laut neuesten uns vorliegenden Informationen steht das Fällen der Bäume noch nicht direkt bevor. Für uns ist das aber gut, denn so bleibt anderen Gruppen Zeit, sich uns anzuschließen. Aber die Ruhe ist trügerisch. Der Wald kann über Nacht, in wenigen Stunden, abgeholzt und zerstört werden.

Was tut Ihre Initiative, wenn der Senat trotzdem die Planierraupen anrücken lässt?

Wir organisieren uns gemeinsam mit weiteren Initiativen aus Wilhelmsburg und Hamburg sowie mit Umweltschutzgruppen. Außerdem suchen wir die politische Unterstützung von Abgeordneten. Um Umwelt und Klima besser schützen zu können, müssen wir einfach besser zusammenarbeiten. Getragen wird unsere Initiative hauptsächlich von Migranten. Allerdings wird unser Engagement für den Erhalt von Mensch und Natur in der Stadtgesellschaft teilweise nicht ernst genommen und nur belächelt. Das ist schade. Auch einige Akteure aus dem Bereich Klima- und Umweltschutz haben offenbar mehr die eigene Karriere vor Augen, statt sich für mehr Lebensqualität einzusetzen. Das muss sich ändern. Denn nur gemeinsam sind wir stark.

Wir sollten zudem die Themen Klimaschutz und Frieden viel stärker verbinden. Denn ohne Frieden und Abrüstung können wir Klima und Natur nicht ausreichend schützen. Wo wir geboren sind, welche Sprache wir sprechen, das spielt für uns keine Rolle. Wir alle gehören zur Weltnatur.

Wie häufig machen Sie Veranstaltungen in dem Waldstück?

Zweimal im Jahr bieten wir eine große Veranstaltung im Wilden Wald an. Dann gibt es Waldabenteuer für Kinder und Erwachsene, eine Waldführung, Theater, Musik und Informationen für die Bürger. Beim Waldfestival an diesem Wochenende hat ein Musiker gesagt: »Die Situation hier ist ähnlich wie im Gezi-Park in İstanbul im Mai 2013. Präsident Erdoğan wollte die Bäume abholzen lassen und bauen.« Sollten die Planierraupen kommen, müssen wir uns ihnen gemeinsam in den Weg stellen.

Rahime Sürücü ist Gründerin der Hamburger Bürgerinitiative »Weltnatur«

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