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Aus: Ausgabe vom 21.06.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Haare legen in Chocolate City

Nah am Ethnokitsch: Abderrahmane Sissokos gefühlvoller Film »Black Tea«
Von Robert Best
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Tee ist die Lösung, Schatz!

Black Tea«, Abderrahmane Sissokos erster Kinofilm seit »Timbuktu« von 2014, folgt einer jungen Ivorerin von Abidjan nach Guangzhou in China. Das Drama erzählt in meditativen Bildern und ruhigem Ton von einer neuen Liebe, einem neuen Leben, den Träumen von Migrantinnen und Migranten und nicht zuletzt von Tee.

Alles beginnt mit einem Nein: Joice lässt ihren Verlobten vor dem Traualtar stehen und schreitet auf und davon durch die Straßen von Abidjan. Früher oder später steuert sie den Flughafen an, die nächste Szene spielt schon in Guangzhou. Joice arbeitet in einem hübsch hergerichteten Teelädchen. Auch wenn er seine Wohlfühlfaktoren wiederholt unterläuft, sind weite Teile des Films so hart an der Kitschgrenze entlang inszeniert, dass manche Kritikerin in »Black Tea« eine Ethnoversion der »Fabelhaften Welt der Amélie« erkennen könnte.

Joice heißt jetzt Aya. Teekultur ist eine Art neue Heimat für sie. Aya riecht andächtig an Teeblättern, streicht behutsam Papier glatt, besonders wenn sie für den Inhaber Tee kocht. Bei der Teatime mit dem Vorgesetzten schlagen die Herzen höher. Ayas Date tut sich mit Chefconnaisseursätzen hervor wie: »Heute befassen wir uns mit einem über Holzkohle gerösteten Berg-Oolong.«

Schwarzer Tee wird in »Black Tea« kaum getrunken, der Titel ist eine Reminiszenz an die Heldin und an eine chinesisch-afrikanische Annäherung. Ayas Exil ist nicht ungewöhnlich. In Guangzhou gibt es im Film wie im realen Leben (west-)afrikanisch geprägte Viertel, »Chocolate City« oder »Little Africa« genannt. Ihren oftmals prekären Lebens- und Aufenthaltssituationen – ganze Gruppen sind von Abschiebung bedroht – trotzen die Einwanderinnen und Einwanderer mit einer Zelebrierung »heimatlicher Kultur«. Im Friseursalon, dem zweiten Epizentrum in Ayas Leben, werden Afros toupiert und Braids geflochten. Eingeborene und Zugewanderte begegnen sich.

Ein älterer, jovial-gemütlicher Polizist lässt sich dreimal wöchentlich frisieren. Er patrouilliert so aufdringlich unaufdringlich schlendernd durchs Viertel, dass es ins Bedrohliche umschlagen kann. Aber dann sitzt er schnurrend im Frisiersessel, lässt sich die Haare legen oder schneiden und die Kopfhaut massieren und erzählt aus seiner Kindheit. Sein Vater habe ihm nur dann über den Kopf gestreichelt, wenn er ihn (ver-)trösten wollte, dass das Geld immer noch nicht für ein Fahrrad reiche.

Viele der chinesischen Figuren sind ebenso arm wie die Zugewanderten. Ein Bauchhändler, der den Friseursalon aufsucht, wird – so direkt, wie es die Höflichkeit zulässt – von einer Kundin mit afrikanischem Hintergrund der Türe verwiesen. Sie seufzt: »Endlich ein bisschen Frieden in unserem Salon!« Aya weist sie zurecht: »Und wo steht der? In seinem Land. Wenn du nicht zufrieden bist, geh zurück.« Ein Safe Space ermöglicht auch harte Ansagen.

Ayas Darstellerin Nina Mélo ist durch Céline Sciammas grandioses ­Coming-of-Age-Girlgang-Drama »Bande des filles« bekannt geworden. Als Aya balanciert sie zwischen Unnahbarkeit, Verletzlichkeit und Entschlossenheit. Ihren Text auf Mandarin hat die Französin in sechs Monaten gelernt.

Mandarin ist Lingua franca in »Chocolate City«, egal ob für Ivorerinnen, Kapverdierinnen oder Malier. In dieser Sprache meistert »Black Tea« trotz Anlaufschwierigkeiten den von Comicautorin Alison Bechdel erfundenen und nach ihr benannten »Bechdel-Test«. Der besteht in der Frage, ob in einem Film mindestens zwei Frauenfiguren miteinander sprechen, und zwar nicht über einen Mann.

Im Interview mit dem Centre national du cinéma et de l’image animé aus Frankreich, wo »Black Tea« bereits 2024 lief, sagte Regisseur Abderrahmane Sissoko: »Die [chinesischen] Instanzen, die die Drehgenehmigungen geben, waren der Ansicht, dass die Liebesgeschichte zwischen einer in Guangzhou lebenden Ivorerin und einem Chinesen nicht mit den Werten übereinstimmte, die sie vermitteln wollen.« Nach langem Hinhalten sei man auf Taiwan als Drehort ausgewichen.

Sissoko nimmt sich Zeit: zum Erzählen einer Geschichte ebenso wie für den Vorlauf seiner Filme. Obwohl nach seinem internationalen Kinodurchbruch mit »Timbuktu« sein Sohn zur Welt kam und eine Opernkollaboration mit Blur- und Gorillaz-Sänger Damon Albarn anstand, sind zehn Jahre für einen Nachfolgefilm im Business eine lange Zeit.

»Timbuktu« war 2014 (und ist leider noch immer) am Puls der Zeit. IS-Terroristen maßregeln hier in einem malischen Dorf alle, die sie nicht vorher umgebracht haben. Sie verbieten alles von Musik über Sport bis zu Lachen. Dennoch spielt eine Gruppe Kinder Fußball – ohne Ball: ein herzzerreißendes Ballett des Widerstands und der Beharrungskräfte der Menschlichkeit.

Die spielen auch in »Black Tea« die Hauptrolle. Im »Großen«: Dienst am Nächsten – Care, Pflege, Sorge, mit oder ohne den Zusatz -arbeit. Im »Kleinen«: kleine Gesten – streicheln, massieren, berühren, sich mit den Fingern, insbesondere den nervenreichen Fingerspitzen, um etwas oder jemanden kümmern. Von dieser grundsympathischen Art sind die Leitmotive, die Sissokos Filme zu Antidoten einer »Militarisierung der Herzen« (Georg Seeßlen) machen.

»Black Tea«, Regie: Abderrahmane Sissokos, Frankreich/Luxemburg/Taiwan 2024, 111 Min., bereits angelaufen

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