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Aus: Ausgabe vom 20.06.2025, Seite 8 / Inland
Asylpolitik

»Zu- und Abwanderungen sind ganz normale Vorgänge«

Der Bayerische Flüchtlingsrat verurteilt die Migrationspolitik der Bundesrepublik. Ein Gespräch mit Katharina Grote
Interview: Gitta Düperthal
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Bundespolizei kontrolliert die Einreise am deutsch-polnischen Grenzübergang von Küstrin-Kietz in Brandenburg (4.6.2025)

Im Anschluss an die am vergangenen Freitag beendete Innenministerkonferenz, IMK, von Bund und Ländern, hielten sich Pro Asyl, Jugendliche ohne Grenzen und die Landesflüchtlingsräte nicht mit Kritik zurück: Die BRD demontiere mit ihrer Migrationspolitik kalkuliert den Rechtsstaat, erklärten die Verbände. Ist das in Bayern besonders spürbar?

Wenn es um Angriffe auf die solidarische Gesellschaft geht, ist Bayern mit Hardlinerdebatten führend. Auch beobachten wir derzeit, dass die demokratischen Parteien grundsätzlich auf rechte Abschottungspolitik aufspringen. Die Landesregierung aus CSU und Freien Wählern schlägt besonders scharfe Töne an und nimmt Stimmungsmache gegen Migration und Geflüchtete billigend in Kauf.

Gibt es relevante Kontrapositionen?

Das Verwaltungsgericht Berlin urteilte am 2. Juni, Zurückweisungen von Asylsuchenden an einer EU-Binnengrenze seien europarechtswidrig. Drei Asylsuchende aus Somalia hatten, unterstützt von Pro Asyl, gegen ihre Zurückweisung an der deutsch-polnischen Grenze geklagt und Recht bekommen. Dass Bundesinnenminister Dobrindt dieses Urteil ignoriert, sehen wir daher als Einschüchterung und Missachtung des Gerichts an.

Was genau kritisieren Sie an der IMK?

Konkrete Beschlüsse zu Flucht und Asyl liegen uns nicht vor. Aber für Deutschland gibt es noch kein Umsetzungsgesetz für das Gemeinsame Europäische Asylsystem GEAS. Die Mitgliedstaaten haben bis Mitte 2026 Zeit, die GEAS-Bestimmungen in nationales Recht umzusetzen. Dobrindt betonte am Freitag bei der Konferenz, er wolle die Reform »nachschärfen«. Wir wollen sie abschaffen.

Wie steht es derzeit um das Recht auf Asyl in der BRD?

Experten konstatieren ständig abnehmende Rechtssicherheit für Geflüchtete, auch innerhalb Europas. Geflüchteten das Recht auf Asyl zu verweigern, kann keine Lösung sein. Sie fliehen ja zu uns, weil sie in ihren Herkunftsländern bedroht werden. Die Genfer Flüchtlingskonvention enthält in Artikel 33 das Prinzip der Nichtzurückweisung. Diesem Grundsatz zufolge darf ein Geflüchteter nicht in ein Land zurückgeschickt werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit ernsthaft bedroht sind – auch nicht nach Libyen oder Tunesien als vermeintlich sichere Drittstaaten. Gerade die BRD sollte das Asylrecht nicht geringschätzen. Es war auch eine Reaktion auf die massenhafte Flucht vor deutschen Faschisten. Zu- und Abwanderungen sind ganz normale Vorgänge. Menschen waren und werden immer in Bewegung sein. Statt also die Binnen- und Außengrenzen Europas abzuschotten, gilt es, diese Realität endlich anzuerkennen.

Die BRD solle in sichere Aufnahme und gleichberechtigte Teilhabe investieren, fordern sie. Die Regierung hingegen behauptet, Deutschland sei mit Geflüchteten zahlenmäßig überfordert.

Zunächst gilt es mit der absurden Vorstellung aufzuräumen, dass Abschottung nichts kosten würde. Im Gegenteil: Es gibt Überlastung im Gesundheits- und Bildungssystem, der Wohnungsmarkt ist angespannt, Kinder sind mit Kitaplätzen unzureichend versorgt. Falsch ist aber, die Geflüchteten deswegen in eine Sündenbockfunktion zu drängen. Auch ist es wenig hilfreich, Menschen in Lagern unterzubringen. Diese Unterbringung macht Menschen das Leben schwer und ist obendrein kostspielig.

Sie verlangen, in Infrastruktur, Bildung und Wohnraum zu investieren, statt Milliarden für Überwachung, Rüstung und Abschottung auszugeben. Stehen Sie mit der Friedensbewegung, die Ähnliches fordert, im Austausch?

Ja, wir stehen mit unseren sozialen Kämpfen nicht allein da. Wir treffen mit der antimilitaristischen Bewegung, der gegen Armut, Mietenwahnsinn oder für Klimagerechtigkeit, bei Demonstrationen zusammen. Wir lassen uns nicht spalten. Wir alle sind für rechte Rhetorik nicht empfänglich und halten dagegen, wo immer es nötig ist.

Katharina Grote ist Sprecherin des Bayerischen Flüchtlingsrats e. V.

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