Steuerbonus durch »Aktivrente«
Von Oliver Rast
Es passt ins Muster einer Klassengesellschaft: Besserverdienende werden bessergestellt. Auch im Rentenalter, wenn sie nach der Regelarbeitszeit weiter ackern. Mittels sogenannter Aktivrente. Ein »Anreizmodell« für Rentner und Pensionäre, berufstätig zu bleiben oder in eine Erwerbsarbeit zurückzukehren. Mit diesem »umsetzbaren Vorschlag« war CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bereits Ende September 2023 um die Ecke gekommen.
Der Christdemokrat will Lohnarbeiten im Altersruhestand steuerfrei stellen – bis 2.000 Euro monatlich. Eine arbeitsmarktpolitische Finesse samt Steuerbonus gegen den Fachkräftemangel. Meint er. Und längst hat die Linnemannsche Schöpfung Eingang in das »schwarz-rote« Koalitionsprogramm von Union und SPD gefunden, soll die Aktivrente Gesetz werden. Nur, wer würde davon profitieren?
Eine am Mittwoch vorgestellte Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) gibt darüber Auskunft. Auf Basis des institutseigenen, multidisziplinären »Sozioökonomischen Panels« (Soep). Demnach würden von der Aktivrente rund 230.000 erwerbstätige Rentner unmittelbar profitieren – vor allem jene mit hohen Einkommen. Die Folge wären zunächst jährliche Steuerausfälle von knapp 800 Millionen Euro, errechnete DIW-Studienleiter Stefan Bach. Erst wenn 75.000 Altersruhständler zusätzlich in den Arbeitsmarkt einträten, glichen weitere Steuer- und Beitragseinnahmen die Verluste aus.
Genauer: Laut Soep-Daten waren 2022 zirka 313.000 Personen ab 66 Jahren sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Meist in Teilzeit, wohlgemerkt. Hinzukommen der DIW-Datenbank zufolge etwa 645.000 Minijobber und 272.000 Selbstständige. Statistisch belegt ist dabei, sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Rentenalter gehören häufig zur obersten Einkommensgruppe. Unter dem Strich: Die Aktivrente entlastet vorrangig Besserverdienende, verschafft ihnen »Mitnahmeeffekte«; geringfügig Beschäftigte erhalten hingegen keinen steuerlichen Vorteil.
Und überhaupt, der Konstruktionsfehler – Bach: Der vorzeitige Erwerbsaustritt werde staatlicherseits gefördert, »so etwa durch die vorgezogene abschlagsfreie Altersrente nach 45 Beitragsjahren oder durch steuer- und abgabenfreie Aufstockungen bei der Altersteilzeit«. Oder die Rente mit 63 Jahren. Sie erlaubt, ohne Abschläge zwei Jahre früher Werkbank, Bürotisch oder Fahrerkabine verlassen zu können, sich zur Ruhe zu setzen. Eine Option, die ferner gerne von (besser entlohnten) Facharbeitern genutzt wird. Jenen, die gesundheitlich vergleichsweise fitter sind als zahlreiche Malocher in niedrigen Einkommensklassen. Also, einerseits Förderung des Erwerbsendes, andererseits Bonus für den Erwerbseintritt. Zu den Zielen der Aktivrente passt das nicht.
Stichwort Fachkräftemangel: Hm, der ließe sich mit dem »aktivistischen Rentenansatz« der Koalition auch kaum begrenzen, so die Studienmacher vom Berliner DIW. Statt dessen brauche es bessere Weiterbildungen, mehr Betreuungs- und Pflegeangebote und ein reformiertes Ehegattensplitting. »Das würde auch die Beschäftigung nach der Regelaltersgrenze erhöhen«, erwartet Studienautor Johannes Geyer.
Ja, und dann gibt es noch verteilungspolitische Fragen. Denn wer aus gesundheitlichen Gründen oder familiären Pflichten keinen Mehrwert mehr produzieren kann, bleibt außen vor. »Das birgt sozialen Sprengstoff – vor allem, wenn ältere Beschäftigte steuerlich stark begünstigt werden, während jüngere Erwerbstätige weiterhin voll belastet bleiben«, resümiert der Leiter der DIW-Studie, Bach.
Das sieht Verena Bentele ähnlich. Die Aktivrente sei kein Allheilmittel und bedeute »eine große sozialpolitische Gefahr«, wurde die Präsidentin des Sozialverbands VdK am Donnerstag in einer Mitteilung zitiert. Linnemanns »umsetzbarer Vorschlag« verschärfe die Spaltung zwischen ärmeren und durch Sorgearbeit mehr geforderten Senioren einerseits – und besser verdienenden Silver Agern andererseits. Kurzum, eine mustergültige Klassenteilung.
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (19. Juni 2025 um 21:42 Uhr)Und als ultimativer Anreiz bliebe dann noch eine individuelle Suizidprämie (im Politiker- und Mediensprech »Final Exit Booster« genannt) für all jene, die sich vorzeitig und freiwillig vom sozialen Acker machen. Dieser ehrenvolle letzte Dienst an der Gesellschaft muss von dieser selbstverständlich gebührend anerkannt und gefördert werden, entlastet er ja schließlich sowohl die Rentenkasse als auch den Wohnungsmarkt. Und außerdem: Neue Helden braucht das Land!
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