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Aus: Ausgabe vom 20.06.2025, Seite 4 / Inland
Überfall auf SPD-Wahlkampfstand

Neonazis wollten »Stress«

Berlin: Haftstrafen für vier junge Faschisten, die SPD-Wahlkämpfer verprügelten
Von Kristian Stemmler
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Zuletzt häuften sich Vorfälle, an denen junge – zum Teil minderjährige – Neonazis beteiligt waren

Sie kamen nach Berlin, um »linke Zecken« zu verprügeln, trafen dort zufällig auf ihre Opfer. Vier junge Neonazis aus Sachsen-Anhalt sind am Donnerstag wegen eines brutalen Überfalls auf eine SPD-Bezirkspolitikerin und ihren Ehemann vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten zu Haftstrafen zwischen einem Jahr und neun Monaten sowie zwei Jahren und acht Monaten verurteilt worden. In zwei Fällen soll in einem halben Jahr darüber entschieden werden, ob die Jugendstrafen zur Bewährung ausgesetzt werden können. Die jungen Männer, zwischen 17 und 20 Jahre alt, hätten sich unter anderem der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht.

»Alle vier waren an den Taten beteiligt«, sagte der Vorsitzende Richter Gregor Kaltenbach laut dpa bei der Urteilsverkündung. Es gebe keinen Zweifel, dass sie ihre Opfer aus ihrer politischen Gesinnung heraus attackiert hätten. Die Brüder Pascal und Florian G. sowie Elias U. und Phillipp B., die der Gruppierung »Deutsche Jugend zuerst« aus Halle (Saale) zugerechnet werden, waren am 14. Dezember 2024 – während des Bundestagswahlkampfs – aus Sachsen-Anhalt nach Berlin gereist, um an einer rechten Demonstration teilzunehmen.

In der Nähe des S-Bahnhofs Lichterfelde Ost traf das Quartett auf Carolyn Macmillan, SPD-Fraktionschefin in der Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf, und ihren Mann. Beide trugen Wollmützen mit SPD-Logo, hatten gerade einen Wahlkampfstand abgebaut und wollten in einen Bus einsteigen. Die Neonazis gingen sofort auf das Paar los, rissen den beiden die Mützen vom Kopf und beleidigten sie als »Zecken«. »Mit äußerster Brutalität« hätten die Täter dann den Mann geschlagen und ihn, als er am Boden lag, durch Tritte mit Springerstiefeln auch gegen den Kopf verletzt, erklärte Staatsanwältin Nicola Schmidt am Donnerstag in ihrem Plädoyer.

Der Jurist erlitt Blessuren im Gesicht, Prellungen und Schürfwunden. Caolyn Macmillian kam mit leichten Verletzungen davon. Nur weil zwei zufällig anwesende Polizisten eingeschritten seien, sei Schlimmeres verhindert worden, sagte die Anklagevertreterin. Die Polizisten waren ebenfalls attackiert und verletzt worden. Einer wurde mit einer Glasscherbe im Gesicht verletzt, ein weiterer erlitt einen Bruch der Mittelhand. Die Angeklagten waren am Tatort festgenommen worden. Drei von ihnen befanden sich seitdem in Untersuchungshaft, der 17jährige blieb auf freiem Fuß.

Schmidt erklärte, es habe sich eindeutig um eine politisch motivierte Tat gehandelt. Dabei hätten die Täter von Anfang an die Provokation mit dem politischen Gegner gesucht. »Sie suchten Stress«, so Schmidt. Ihre »rechtsextreme Gesinnung« hätten die Angeklagten offen zur Schau gestellt. Die Staatsanwältin beantragte Jugendstrafen zwischen zweieinhalb und drei Jahren und vier Monaten. Zwei der vier Verteidiger plädierten auf Bewährungsstrafen, einer auf eine Verwarnung, der Anwalt des 17jährigen forderte einen Freispruch.

Zum Prozessauftakt im Mai hatten sich zwei der vier Angeklagten geäußert. Der 19 Jahre alte Elias U. aus Leuna gab an, dass die Vorwürfe »im wesentlichen« zuträfen. Sein Ziel sei es gewesen, seine Gesinnung »auch mit Gewalt« zum Ausdruck zu bringen. In der Untersuchungshaft habe er über sein Verhalten nachgedacht und beschlossen, »politisch andere Wege einzuschlagen«, vor allem »der Gewalt abzuschwören«.

Der 20 Jahre alte Phillipp B. aus Aschersleben gestand, den Mann ins Gesicht geschlagen zu haben, und beteuerte, dass er das Geschehen bedauere. »Es war nicht geplant, es hätte nicht dazu kommen dürfen«, hieß es in B.s Erklärung. Er bitte um Entschuldigung. Eine Polizeibeamtin hatte in dem Verfahren ausgesagt, es habe sich um eine »kampfbereite Gruppe« gehandelt. Einer der Angeklagten habe gerufen, er sei »stolz, ein Rechter zu sein«, und dass er und seine Freunde nach Berlin gekommen seien, »um Linke zu prügeln«.

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