Streichliste im Lehramt
Von Yaro Allisat
Jana und Karla studieren Lehramt, sind antifaschistisch aktiv und verdammt unzufrieden mit ihrem Studium. »Wenn wir uns in Riesa gegen die AfD widersetzen, damit wir für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten, müssen wir mit Konsequenzen für unsere berufliche Zukunft rechnen.« Nicht einfach also die Ausbildung und Arbeit als Lehrkraft.
Von seiner misslichen Situation erzählt das Duo auf der Vollversammlung (VV) der Lehramtsstudiengänge am vergangenen Dienstag im Audimax der Uni Leipzig. Die Liste der Probleme: Der Lehrberuf erhöhe das Risiko, psychisch zu erkranken. Sinnvolle Hilfen gebe es nicht. Auch über den Genozid in Palästina könne man nicht sprechen, ohne Repressalien befürchten zu müssen. Wenn man sich auflehne, werde einem kein Gehör geschenkt.
Rund 400 Lehramtsstudierende sind zu der VV gekommen, um sich über ihr Studium auszutauschen. Aufgerufen dazu hatte die Referentin für Lehramt des Studierendenrates, Lily Landschreiber. Sie ist zuständig für die Vertretung aller 6.000 Lehramtsstudierenden. Bei der Versammlung wollte sie mit ihren Kommilitonen ins Gespräch über »Missstände im Studium« kommen, unter anderem zu Inklusion, Antirassismus, Kinderschutz und finanziellen Kürzungen an der Uni. Ein weiteres Motiv Landschreibers: Studierende mittels gemeinsamer Forderungen vereinen, um diese dann gegenüber Unileitung und Landespolitik zu vertreten.
Mit großer VV-Mehrheit werden die Forderungen, die die Hochschulgruppe »Kritisches Lehramt« mit ausgearbeitet hatte, beschlossen. Die Studierenden fordern unter anderem eine Regelstudienzeit von zehn Semestern, Kinderschutz als festen Bestandteil des Studiums und inklusions- und sonderpädagogische Inhalte für alle Studierenden.
»Es ist das erste Mal, dass ich bei so einer Veranstaltung bin«, sagte Janine Linde (Name geändert), Grundschullehramtsstudentin, im jW-Gespräch. »Wir bräuchten solche Veranstaltungen jedes Jahr, damit wir gemeinsam als Studierende entscheiden können, wie unser Studium aussehen soll.« Ansonsten sitze man nur vereinzelt in den Seminaren und traue sich nicht, Kritik an fragwürdigen Studienpraxen zu äußern. »Ich will eine gute Lehrerin werden, und das ist eine gesellschaftliche Aufgabe, also müssen wir hier auch über Politik diskutieren«, so Linde weiter.
Jana und Karla hingegen sind eher frustriert. 1.000 Menschen hätten in das Audimax gepasst. Sie ärgern sich, dass nicht mehr ihrer Kommilitonen gekommen sind. Der Studiengang sei entpolitisiert, ebenso die Studierenden. Bereits einige Tage vor der VV hatte die Gruppe »Kritisches Lehramt« einen offenen Brief an das Sächsische Staatsministerium für Kultus geschrieben, in dem sie unter anderem mehr Geld für die Ausbildung fordert. Aktuell wird in Sachsen der Haushalt für 2025/26 verhandelt, Kürzungen von vier Milliarden Euro stehen im Entwurf der »schwarz-roten« Minderheitsregierung im Raum.
Betroffen ist auch der Bildungssektor: Für die seit Jahren unterfinanzierten Studierendenwerke werden genau null Euro für Neuinvestitionen zur Verfügung gestellt. Inwiefern die Finanzen die steigenden Kosten des laufenden Betriebs decken werden, ist noch unklar. Auch in Bildungs- und Demokratieförderprogrammen sind Kürzungen von bis zu 90 Prozent möglich, sollten diese nicht in einem mit den Oppositionsparteien Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke ausgehandelten Kompromiss noch gerettet werden. »Wir sind die Zukunft des Lehramts«, meint Linde dazu. »Und wir bilden die Zukunft der Gesellschaft aus.« Das sei eigentlich nichts, wo man kürzen sollte.
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