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Aus: Ausgabe vom 16.06.2025, Seite 8 / Ansichten

Radikale Flurbereinigung

Israelischer Angriff auf den Iran
Von Reinhard Lauterbach
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Die Lage unbeherrschbar machen: Sanitäter des Roten Halbmonds vor Trümmern nach einem israelischen Luftangriff (14.6.2025)

Krieg sei die Fortsetzung der Politik unter Einmischung anderer Mittel, sagt der Klassiker Carl von Clausewitz. Versuchen wir also, aus den widersprüchlichen und gefilterten Informationen aus dem Kriegsgebiet eine Vorstellung davon zu gewinnen, welche politischen Ziele Israel mit seinem Angriff auf den Iran verfolgt.

Die nach außen vorgetragene Rechtfertigung – das iranische Atomprogramm – wird es nicht gewesen sein. Denn wie gut unterrichtete Medien wie die New York Times und das Portal Axios schon kurz nach den Angriffen meldeten, ist der tatsächliche Schaden für das iranische Atomprogramm nicht irreparabel. Einer der jetzt ermordeten iranischen Atomwissenschaftler hatte erst vor kurzem in einem Interview gesagt, die operative Leitung des Programms sei längst in die Hände einer jüngeren Generation übergegangen. Und was die technische Seite angeht, ist der Kern der für die Urananreicherung erforderlichen Anlagen im Innern von Bergmassiven verbunkert. Israel verfügt nicht über die Bomben zur Zerstörung tiefliegender Bunker und auch nicht über die schweren Bomber, die sie abwerfen könnten. Über die verfügen potentiell nur die USA. Und die haben bisher von einem direkten Schlag gegen den Iran Abstand genommen. Aus (innen)politischen Gründen zweifellos, aber auch, weil man sich in Washington des praktischen Erfolges nicht sicher sein kann, denn diese Anlagen sind offenbar so verwinkelt, dass auch ein direkter Treffer keinen Erfolg garantiert.

Was also wollte Israel mit den beispiellosen Angriffen erreichen, wenn doch die Aussichten für einen Erfolg im erklärten Sinn so auffallend schlecht sind? Viel deutet darauf hin, dass die Angriffe auf die Herbeiführung der nötigen Instabilität für einen Regimewechsel im Iran zielen. Dazu passen auch die zunehmend schrilleren Aufrufe aus Israel, dass genau jetzt der richtige Zeitpunkt für einen Aufstand sei. Am Sonnabend rief etwa der frühere Ministerpräsident Naftali Bennett das »stolze iranische Volk« auf, die Gelegenheit zu nutzen, die Regierung zu stürzen. »Your time is NOW« – das Regime sei noch nie so schwach gewesen.

Das Problem auch dieser Kalkulation ist: Viele Berichte aus dem Iran besagen, dass die Bevölkerung zwar von den Sanktionen zermürbt ist, aber doch den Anspruch des Iran als Nation auf ein womöglich auch militärisches Atomprogramm teilt. Das übliche »Rallying around the flag« bei äußerer Bedrohung könnte im Iran so erfolgen wie anderswo. Man muss keine Sympathien für die Islamische Republik hegen, um sich zu erinnern, dass sie aus einem Aufstand gegen das Marionettenregime des letzten Schahs entstanden ist – also einem iranisch-nationalistischen Impuls.

Der Iran ist heute der letzte verbliebene relevante Gegenspieler Israels in der nahöstlichen Region. Seine Ausschaltung als politischer Faktor ist eine Bedingung dafür, dass Israel seine Unterdrückungs- und Vertreibungspolitik gegenüber den Palästinensern fortsetzen kann, ohne Vergeltung befürchten zu müssen. Die eine Radikalität spiegelt die andere.

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