Einigung nach 99 Jahren
Von Nick Brauns
In anderen Ländern waren Revolutionäre gründlicher. Sie ersparten der Nachwelt damit einigen Ärger. In Frankreich rollte 1793 der Kopf von König Ludwig XVI. unter der Guillotine, der russische Zar Nikolaus II. und seine Familie wurden im Bürgerkrieg 1918 erschossen. In Österreich behielten die Adeligen nach 1919 zwar ihre Köpfe, mussten aber ihre Titel abtreten. In Deutschland dagegen ließ die Sozialdemokratie nach der Novemberrevolution 1918 den Hohenzollern-Kaiser Wilhelm II., der Europa in den Krieg gestürzt hatte, ins Exil ausreisen. Das Vermögen seiner Familie wurde beschlagnahmt. Doch seit einem Vertrag mit Preußen über eine Vermögensregelung im Jahr 1926 gab es juristischen Streit und Rückgabeforderungen. Nach 1989 forderten die Hohenzollern das Inventar ihrer in der DDR unter dem Vorwurf der Nazikollaboration enteigneten Schlösser und Herrenhäuser zurück, nebst Wohnrecht. Damit kam der renitente Clan nicht durch.
Nach 99jährigem Streit nahm am Freitag ein Anfang Mai geschlossenes Abkommen der öffentlichen Hand mit der Familie Hohenzollern die letzte Hürde. Das Deutsche Historische Museum stimmte zu, wie bereits die Stiftungen Preußische Schlösser und Gärten sowie Preußischer Kulturbesitz, die Schätze aus dem Hause Hohenzollern ihr eigen nennen. Die unwiderrufliche Rahmenvereinbarung ist damit wirksam, wie Kulturstaatsminister Wolfram Weimer mitteilte. »Gewinner sind alle kunstinteressierten Bürgerinnen und Bürger«, erklärte Clanchef Georg Friedrich Prinz von Preußen. Die Stiftung Hohenzollerscher Kunstbesitz, in deren Besitz ein Großteil der Kunstschätze übergeht, solle das »gemeinsame Kulturerbe« pflegen und erlebbar machen. Reichtümer, die die Hohenzollern über Jahrhunderte dem Volk abgepresst hatten, bleiben damit in Museen der Öffentlichkeit zugänglich.
Trost für die Kaisererben: Sie erhalten neben ihnen persönlich zugeordneten Objekten mehrere verzierte Tabakdosen mit geschätztem Marktwert von 20 Millionen Euro sowie Mitsprache im von der öffentlichen Hand dominierten Stiftungsrat.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Mehr aus: Feuilleton
-
In die falsche Richtung
vom 14.06.2025 -
Betrachtungen eines Unpolitischen
vom 14.06.2025 -
Was hätte Carls Barks gesagt?
vom 14.06.2025 -
Polt
vom 14.06.2025 -
Nachschlag: Ursache und Wirkung
vom 14.06.2025 -
Vorschlag
vom 14.06.2025 -
Veranstaltungen
vom 14.06.2025