Gegründet 1947 Sa. / So., 14. / 15. Juni 2025, Nr. 135
Die junge Welt wird von 3011 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 14.06.2025, Seite 2 / Inland
Faschismusdiskussion

»Es gibt eine Abnutzung dieses Begriffs«

Eine internationale marxistische Konferenz zur faschistischen Gefahr in Berlin. Ein Gespräch mit Max Rodermund
Interview: Nico Popp
imago807738174.jpg
Gegen Nazis - und für die eingerichteten Verhältnisse? Teilnehmer einer Kundgebung gegen einen Neonaziaufmarsch in Berlin (22.3.2025)

Vom 20. bis zum 22. Juni veranstaltet das Zetkin-Forum in Berlin eine Konferenz, bei der die Frage »Faschismus zurück in Europa?« erörtert werden soll. Zunächst: Was ist das Zetkin-Forum?

Das Projekt gibt es seit Anfang 2024. Wir sind der europäische Partner des international vernetzt arbeitenden Tricontinental-Instituts. Die Idee ist, mit dem Zetkin-Forum marxistische Debatten zu Gegenwartsthemen anzuschieben und vor allem eine diesbezügliche Vernetzung in Europa zu fördern.

Woraus ergibt sich für Sie die Dringlichkeit des Faschismusthemas?

Es gibt eine umfassende reaktionäre Tendenz, in Deutschland und anderswo. Die Kriegsvorbereitung läuft ganz offen, und in diesem Zusammenhang gibt es einen Abbau demokratischer Rechte. Ich würde das tatsächlich als Faschisierung beschreiben. Wir haben die Konferenz bewusst in den zeitlichen Zusammenhang des 80. Jahrestages der Befreiung vom Nazifaschismus gelegt. Und am 20. Juni 1923 hat Clara Zetkin eine wichtige Rede vor dem Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale gehalten. Das war einer der ersten, bis heute interessanten Versuche, sich grundsätzlich mit dem Faschismus auseinanderzusetzen. Und natürlich nehmen wir auch wahr, dass inzwischen wieder viele Leute über den Faschismus reden, diese Wortmeldungen sich aber überwiegend aus einer alles andere als materialistischen Perspektive ergeben.

Nun gibt es auch innerhalb der im engeren Sinne linken Debatte seit Jahrzehnten eine, wie ich finde, relativ ungesunde Neigung, alle Seiten der Staatspraxis und des politischen Lebens, die man als besonders menschenfeindlich oder antidemokratisch wahrnimmt, umstandslos auf das Konto einer Faschisierung oder eines drohenden Faschismus zu buchen. Und dabei dann routiniert zu übersehen, dass es kein faschistischer Staat ist, der das alles veranstaltet oder ermöglicht. Immerzu ist Faschisierung. Da steckt viel Idealisierung eines bürgerlichen Normalzustandes drin.

Genau dieses Problem soll auch Gegenstand der Debatte am nächsten Wochenende sein. Wir wollen die Frage der Trennlinie zwischen liberal-parlamentarischen und faschistischen Formen bürgerlicher Herrschaft anhand sehr konkreter Analysen der Entwicklung einzelner Länder diskutieren. Es gibt eine Übernutzung und auch Abnutzung des Faschismusbegriffs, auch eine Tendenz, daraus eine moralische Kategorie zu machen. Zu beobachten ist auch, dass eine faschistische Gefahr nur mit den erklärten Faschisten in Verbindung gebracht wird, nicht aber mit dem Interesse der herrschenden Klasse an einer Veränderung des Gewaltmechanismus.

Zetkin hat den Faschismus 1923 den stärksten und »konzentriertesten« Ausdruck »der Generaloffensive der Weltbourgeoisie in diesem Augenblick« genannt. Mitgedacht war da: Das ist eine Offensive, mit der auf den Aufschwung der Arbeiterbewegung nach der Oktoberrevolution und dem Weltkrieg geantwortet wird. Wie lässt sich das auf 2025 übertragen? Von kämpferischen Arbeiterparteien und Massenstreiks ist zum Beispiel in Europa weit und breit nichts zu sehen. Von einer Erschütterung bürgerlicher Herrschaft auch nicht. Wo kommt da das Bedürfnis nach einer Offensive her, deren politischer Ausdruck der Faschismus ist?

Das ist ein valider Einwand. Es gibt diese revolutionären Kämpfe und diese Infragestellung des Herrschaftsmechanismus aktuell nicht. Gleichzeitig ist die Krise der hegemonialen Weltstellung des »Westens« offensichtlich, und es gibt im internationalen Maßstab die wachsende Gefahr großer Kriege. Es spitzen sich Widersprüche zu, die sich in massiver Gewalt entladen können. Und das kann und wird unmittelbar auf den Herrschaftsmechanismus zurückschlagen. Ein Symptom solcher Entwicklungen ist die laufende Rehabilitierung des historischen Faschismus, zum Beispiel in Osteuropa, aber auch in Deutschland.

Nun ist die Staatsgewalt zum Beispiel in Deutschland allerdings in einen »antifaschistischen« Mantel geschlüpft.

Das ist ein reaktionärer Handstreich und zeigt, wie sehr die Begriffe verrutscht sind. Kriegsvorbereitung und Demokratieabbau sind alles, nur nicht antifaschistisch. Als Marxisten wollen wir uns auch mit dieser Verdrehung beschäftigen und dem unsere antifaschistische Orientierung entgegenhalten.

Wer wird bei der Konferenz erwartet?

Die Gäste kommen aus 14 verschiedenen Ländern, zum Beispiel aus Kroatien, Serbien, Polen, Rumänien und Ungarn. Wir haben uns insbesondere bemüht, Referenten aus Osteuropa zu gewinnen. Und das war nicht einfach, weil es in einigen Ländern ziemlich schwierig geworden ist, offen als Marxist aufzutreten.

Max Rodermund ist Mitarbeiter des Zetkin-Forums

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

                                                                   junge Welt stärken: 1.000 Abos jetzt!