Standhaft für kommende Gesellschaft
Von Luca Schäfer, Bottrop
In der Ruhrpottstadt Bottrop lebt jedes fünfte Kind und jeder fünfte Jugendliche in einer ALG-»Bedarfsgemeinschaft«, jeder zehnte Erwachsene besitzt keinen Arbeitsplatz, und die Kommune hat sich selbst seit 2024 ein »Haushaltssicherungskonzept« auferlegt, was in Manier der Sachzwanglogik der Austerität vor allem Kürzungen im sozialen Bereich vorsieht. Am Pfingstwochenende sind im Volkspark Batenbrock rund 2.000 Jugendliche und Junggebliebene aus der gesamten Bundesrepublik sowie diverse Vertreter internationaler kommunistischer Jugendorganisationen und nationaler Bündnispartner zusammengekommen.
Die Stadt und ihre Bevölkerung, in der 1920 die »Rote Ruhrarmee« gegen den Kapp-Putsch marschierte und erst 2018 mit dem Bergwerk Prosper-Haniel das Kapitel der Kohlekumpel und Zechen beendet wurde, war der ideale Austragungsort für ein Festival der Gegenkultur. Ursprünglich sollte das Jugendfestival wie in der vergangenen Dekade im Kölner Jugendpark stattfinden – dieser Ort blieb der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) jedoch mit einer politischen Begründung verwehrt.
Im inhaltlichen Austausch, bei sportlichen Wettkämpfen und dem Erleben sozialistischer Gemeinschaftskultur wurde die Keimform einer kommenden Gesellschaft spürbar. Während bei durchwachsen-regnerischem Wetter die Rapper »Vizzion« und »Masur« Klassenkampf mit Rapmusik predigten, wurde filmisch an das antifaschistische Erbe der im Juli 2021 verstorbenen Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano erinnert.
Als Alleinstellungsmerkmal darf gelten, dass das gesamte Festival ohne Gewinn, ohne Eintritt und in Eigenregie des sozialistischen Jugendverbandes gestemmt wird. Hunderte Arbeitsschichten wurden von Freiwilligen getragen. Aus den über 55 inhaltlichen Runden und Workshops stachen die Diskussionsrunden zu Betrieb und Gewerkschaft, der Versuch der Erklärung des Marxismus in 60 Minuten von Jürgen Lloyd, eine Debattenrunde zwischen den linken Jugendorganisationen »Solid«, dem SDS, der »Jungen Linken«, der BSW-Jugend und der SDAJ, die diversen Freizeitangebote (Fußballturnier, Kampfsport oder Hamburger Fünfkampf) sowie insbesondere die Runde zum auf Kuba neu erschienenen Buch »Wo die Zukunft verlorenging« heraus.
In diesem schildern die beiden Granma-Journalisten Dania Diaz und Jorge Jerez die Lebens- wie Leidensgeschichte von 16 DDR-Bürgern mit der Konterrevolution und deren Bedeutung für die Kubanische Revolution heute. Mit Tränen in den Augen schilderte einer der Protagonisten des Buches, Rainer Lindemann, den Verlust der DDR. Er schrieb den kubanischen Genossen den Satz »Bewahrt euch den Sozialismus« ins Stammbuch.
Gegenüber junge Welt berichteten Festivalgäste, dass vermehrt Schüler und junge Arbeiter anwesend gewesen seien. Der DKP-Bundesvorsitzende Patrik Köbele lobte derweil das Durchhaltevermögen des der Witterung trotzenden Publikums sowie den »großartigen Revolutionswillen«. In der programmatischen Abschlussrede betonte die SDAJ-Bundesvorsitzende Andrea Hornung im Rückbezug auf die Biographie von Emil Carlebach, ehemaliger Buchenwald-Häftling und standhafter Kommunist, dieser habe »nie aufgehört zu kämpfen«, weil der Schwur von Buchenwald »nicht erfüllt war«. Carlebach habe gewusst: Faschismus und die Angriffe auf die Arbeiterklasse kommen nicht aus dem Nichts.
»Sie haben Ursachen, die in diesem Gesellschaftssystem liegen«, bekräftigte Hornung. »Unsere schlechte Situation« sei letztlich »in der Herrschaft des Monopolkapitals« begründet. Dies müsse »in allen Auseinandersetzungen und Kämpfen« deutlich gemacht werden. Diese Herrschaft lasse sich nur beenden, indem »wir den Kapitalismus überwinden«, appellierte die SDAJ-Bundesvorsitzende. Genau dazu leistete das Festival der Jugend – im Sinne Carlebachs – einen Beitrag: Es organisierte den Widerstand.
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