Kampfkandidatur bei Verdi
Von Susanne Knütter
Gegenkandidaturen in Gewerkschaftskreisen sind ungewöhnlich. Im Verdi-Bezirk Rheinland-Pfalz-Saarland mit seinen gut 110.000 Mitgliedern ist das nun der Fall. Im November soll die außerordentliche Landesbezirkskonferenz eine Nachfolge für den derzeitigen Landesbezirksleiter Michael Blug wählen. Neben Marion Paul, die bereits stellvertretende Landesbezirksleiterin ist, hat Michael Quetting seine Kandidatur angekündigt. Er war Verdi-Sekretär und zuletzt Pflegebeauftragter in dem Bezirk. Seit 2022 ist er Rentner. Seine Chancen waren von Anfang an schlecht. Der Landesbezirksvorstand nominierte am Donnerstag in Bad Kreuznach erwartbar Marion Paul für die Konferenz im November. Allerdings geht es um mehr als ein Amt. Es geht um die innergewerkschaftliche Debatte zu Sozialabbau, Einschränkung gewerkschaftlicher Rechte, Aufrüstung, Krieg. Und da macht Quetting ein paar wichtige Punkte.
Angesichts von Deindustrialisierung, Inflation und Sozialabbau müssten die Forderungen der Gewerkschaften Rückenwind erhalten, »statt dessen sind es die Forderungen der ›Arbeitgeber‹ nach Arbeitszeitflexibilisierung, Lohnverzicht und Abweichung von Tarifverträgen«, konstatierte Quetting in seiner Rede, die er vor dem Landesbezirksvorstand hielt und die jW vorliegt. »Wir müssen uns auf weitere Repressionen und Einsparungen einstellen. Die Zeiten des rheinischen Kapitalismus sind endgültig vorbei. Ich kann keine Sozialpartnerschaft erkennen. Die Verteilungsspielräume werden enger.« Über all das fordert Quetting einerseits einen offenen und ehrlichen Umgang mit den Kollegen und andererseits, den Widerstand dagegen zu organisieren.
Mit Blick auf das jüngste Tarifergebnis für den öffentlichen Dienst von Bund und Ländern, erschrecke Quetting weniger der Umstand, dass sich fast 50 Prozent der Mitglieder, die sich an der Befragung beteiligt haben, gegen die Tarifeinigung aussprachen. Ihn sorge mehr, dass nicht mal jedes vierte Mitglied überhaupt abstimmte. Das zeige, »dass es den Betriebsgruppen und erst recht den Gewerkschaftssekretären und Vorständen nicht gelungen ist, unsere Mitglieder zu motivieren, sich an dem demokratischen Prozess zu beteiligen«.
Quetting, der als Gewerkschafter selbst jahrzehntelang daran gearbeitet hat, die Mitglieder und Beschäftigten in die Gewerkschaftsarbeit einzubeziehen, fragt nun generell: Wie sehen die Diskussionen in den Betriebsgruppen aus? Wo gibt es überhaupt noch aktive, funktionierende Betriebsgruppen mit Vertrauensleutestrukturen? »Wo gibt es eine lebendige und klärende Diskussion zu Kernaufgaben in der kollektiven Betriebs- und Tarifarbeit in Betrieben und Gremien mit konkreten und messbaren Zielen?« Aus Sicht des Gewerkschafters müssen die Hauptamtlichen steuern und leiten, ansonsten sollte das Credo sein: »Alle Kraft für die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben und Verwaltungen.«
Nur dann könne erfolgreich Widerstand organisiert werden gegen das, was auf die Lohnabhängigen zukommt: Das »Sparen an der Daseinsvorsorge in all ihren Facetten ist politisch gewollt«, konstatiert Quetting weiter. Das gehe einher mit Aufrüstung. »Wenn wir diesen Zusammenhang nicht erkennen und entsprechend handeln, werden wir keine Kämpfe gewinnen.« Der Gewerkschafter verweist auf das Anfang des Jahres veröffentlichte Grünbuch der Bundesregierung, in dem es »nicht ohne Grund« etwa heißt, die Bevölkerung müsse darauf vorbereitet werden, »dass sie Einschränkungen bei der Gesundheitsversorgung hinnehmen« muss.
Welche Schwerpunkte die nominierte Marion Paul als Landesbezirksleiterin setzen will, konnte bis jW-Redaktionsschluss nicht abschließend ermittelt werden. Die Pressestelle des Landesbezirks Rheinland-Pfalz-Saarland teilte aber mit: »Mit Marion Paul schlägt der Vorstand eine erfahrene Gewerkschafterin vor, die sich bereits seit vielen Jahren engagiert für die Interessen der Beschäftigten einsetzt und innerhalb der Organisation hohes Ansehen genießt.« Die breite Zustimmung bei ihrer Nominierung (95 Prozent) unterstreiche das Vertrauen, das sie innerhalb des Landesbezirks genießt.
Beendet ist die Diskussion indes nicht. Quetting kandidiert trotzdem. Im November werden die Delegierten aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland auf der Landesbezirkskonferenz in Kirkel endgültig über die Besetzung der Spitzenposition entscheiden.
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