Halbzeittest für Tusk
Von Reinhard Lauterbach, Poznań
Am Sonntag sind die Wähler in Polen erneut an die Urnen gerufen. Sie sollen in einer Stichwahl entscheiden, wer als Nachfolger von Andrzej Duda ins Warschauer Präsidentenpalais einzieht: Karol Nawrocki, der von der rechten PiS unterstützte angebliche Bürgerkandidat, oder Rafał Trzaskowski, Warschauer Oberbürgermeister und stellvertretender Vorsitzender der regierenden »Bürgerplattform«. Das Rennen zwischen beiden bleibt offen: Letzte Umfragen von Anfang der Woche sagen Trzaskowski einen hauchdünnen Vorsprung von 1,6 Prozentpunkten voraus – genau so weit hatten er und Nawrocki auch in der ersten Runde am 18. Mai auseinandergelegen. Allerdings bewegen sich die Zahlen im Rahmen der statistischen Fehlerbreite.
Entscheidend dürfte werden, welcher Kandidat erstens über Reserven aus den Stimmen für andere Kandidaten in der ersten Runde verfügt und diese zweitens für sich mobilisieren kann. Auch hier sind die Chancen recht gleichmäßig verteilt: Trzaskowski sollte auf die gesammelte Wählerschaft der Regierungskoalition von der Linken bis zur Bauernpartei PSL zurückgreifen können, Nawrocki zusätzlich zu den etwa 30 Prozent, die die PiS selbst auf die Waagschale bringt, auf einen Großteil der gut 20 Prozent Stimmenanteil für die extrem rechten Kandidaten Sławomir Mentzen und Grzegorz Braun. Zum Zünglein an der Waage könnten paradoxerweise die etwa fünf Prozent der Wähler werden, die in der ersten Runde für Adrian Zandberg, den Kovorsitzenden der sozialdemokratischen Partei Razem, gestimmt hatten.
Zandberg hat jede Wahlempfehlung für die zweite Runde verweigert, weil er den Anschein vermeiden will, dass seine Partei letztlich doch nur wieder ein Anhängsel der Tusk-Koalition ist. Er selbst werde an der Stichwahl nicht teilnehmen, aber er könne seinen Wählern keine Vorschriften machen. Wenn sich Razem-Wähler anders als ihr Kandidat an der zweiten Runde beteiligen sollten, dann wohl überwiegend zugunsten des »kleineren Übels« Trzaskowski. Denn Nawrocki steht insbesondere für kulturell-symbolischen Rückschritt auf der ganzen Linie: Reklerikalisierung des öffentlichen Lebens, Ablehnung reproduktiver Selbstbestimmung von Frauen, Hetze gegen die LGBT-Milieus, von einer Anerkennung gleichgeschlechtlicher Beziehungen ganz zu schweigen.
Der Wahlkampf war zuletzt immer stärker von persönlichen Anwürfen der Kandidaten geprägt. Trzaskowski wird eine geplatzte Abwasserleitung in Warschau zur Last gelegt, zu Nawrockis Vergangenheit bringen die liberalen Medien immer neue Enthüllungen: aktive Teilnahme an Massenschlägereien von Fußballfans, Kontakte in die Danziger Unterwelt und das dortige Nazimilieu und zuletzt, dass er im Rahmen eines Studentenjobs als Türsteher im »Grand Hotel« in Sopot Gästen Sexarbeiterinnen vermittelt und diesen Zugang zum Gebäude verschafft habe. Erkennbare Auswirkungen auf die Umfragen hat all das nicht gehabt.
Beide Kandidaten stellen die Abstimmung am Sonntag als Richtungsentscheidung dar: für ein »sicheres und souveränes Polen ohne illegale Migranten« (Nawrocki) oder ein »demokratisches und europäisches Polen« (so die zum Hilfsorgan für den Wahlkampf Trzaskowskis degenerierte Gazeta Wyborcza am Freitag). Die Ablehnung »illegaler Migration« verkündet auch Trzaskowski, ansonsten will er Polen wieder stärker in der EU verankern, die Nawrocki in ihrem Einfluss zurückdrängen will. Bei der Aufrüstung der polnischen Armee und der Erhöhung der Militärausgaben auf fünf Prozent des BIP unterscheiden sich beide Kandidaten nicht. Die einzige wirklich erwartbare Folge der Stichwahl ist ihre Auswirkung auf die weitere Arbeit der Regierung Tusk. Mit Rafał Trzaskowski könnte sie »durchregieren«, wäre aber auch gezwungen, ihre Versprechungen zu erfüllen, ohne sich ständig auf den blockierenden Präsidenten berufen zu können. Genau dieser Zustand der Dauerblockade wäre die Folge eines Präsidenten Karol Nawrocki. Und womöglich vorgezogene Neuwahlen im nächsten Frühjahr, wenn Nawrocki den Haushalt 2026 durch sein Veto blockiert.
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