Es wird knapp
Von Reinhard Lauterbach, Poznań
Es sind nur noch wenige Tage bis zur ersten Runde der Präsidentschaftswahl in Polen am kommenden Sonntag. Und der Vorsprung des Kandidaten von Donald Tusks liberaler »Bürgerplattform«, Rafał Trzaskowski, schmilzt zusammen – von ursprünglich komfortablen zwölf Prozentpunkten auf nur noch fünf in der letzten Umfrage: 33 für Trzaskowski und 28 für Karol Nawrocki, den von der PiS unterstützten sogenannten Bürgerkandidaten.
Damit rächt sich ein lahmer und uninteressiert wirkender Wahlkampf Trzaskowskis in den ersten Wochen der Kampagne. Und es rächt sich vor allem, dass er sich wochenlang darauf verlegt hatte, der »Patriotismus«-Rhetorik der Rechten den »wahren Patriotismus« in seiner Gestalt entgegenzustellen. Wo Karol Nawrocki Patriotismus als »starkes, souveränes, sicheres und unabhängiges Polen« buchstabierte, warf Trzaskowski dem rechten Kandidaten vor, er gefährde die nationale Einheit, die doch angesichts der Bedrohung durch Russland heute nötiger sei als je zuvor. Nicht einmal im westpolnischen Poznań, wo er eigentlich ein Heimspiel hätte haben können, ging er zum Angriff auf Nawrocki über, sondern verhielt sich wie ein Trendkoch, dem Foodjournalisten zuschreiben, er habe »die Bratkartoffel neu interpretiert«. Patriotismus, so Trzaskowski, bedeute nicht, andere zu hassen, sondern im Gegenteil, Platz für jeden zu lassen; Patriotismus bedeute Empathie und Mitgefühl, Solidarität des Stärkeren mit dem Schwächeren und dergleichen Schönwetterparolen. Nicht einmal den frühmittelalterlichen polnischen König Bolesław den Tapferen, dessen Krönung sich Ende April zum 1.000. Mal jährte, ließ Trzaskowski in seinem Grabe ruhen, sondern erklärte, der Piastenfürst wäre »stolz auf Polen in der EU«, wenn er »von oben auf uns herunterschauen würde«. Zündend wie nasse Streichhölzer. Dabei sind sich Trzaskowski und Nawrocki tatsächlich beim zentralen Thema der polnischen Politik völlig einig: dass Polen fünf Prozent seines Sozialprodukts für die Rüstung ausgeben, die heimische Rüstungsindustrie fördern und die »illegale Migration« energischer bekämpfen müsse.
Erst in den allerletzten Tagen hat Trzaskowski zumindest rhetorisch einen Gang zugelegt und versucht, ebenso wie Nawrocki zu polarisieren: In diesem Wahlkampf stehe »das ehrliche Polen gegen das der Schwindler«. Ihm kommt dabei zugute, dass Nawrocki von Medien bei einer undurchsichtigen Wohnungsaffäre ertappt worden ist (siehe Text unten).
Karol Nawrocki ist dabei auch nicht viel unterhaltsamer. Er beschwört die Größe Polens, die Schönheit seiner »Sakralarchitektur« – als gäbe es in Polen nur Kirchen zu bewundern –, außerdem die »Normalität« seiner Bewohner; diese wollten keine »verrückten Genderideologien« und keinen »Green Deal«, der nur die Bauern ruiniere, sondern einfach nur leben dürfen, wie sie es wollten, und ihre Kinder so erziehen, wie sie das für richtig hielten. Verbeugungen vor der katholischen Kirche fehlen nie, wenn er auf Marktplätzen oder in Stadtbibliotheken auftritt, ebensowenig die Beschwörung der drei apokalyptischen Reiter Deutschland, Migration – immer mit dem Adjektiv »illegal« verbunden – und Russland. Für den Austritt aus der EU agitiert er nicht, aber für eine EU, die die Interessen der Nationalstaaten respektiert. Nawrockis Auftritte enden regelmäßig mit dem Aufruf: »Es lebe (hier der Name des jeweiligen Ortes), es lebe Polen!« Dazu ein Meer weiß-roter Nationalfahnen.
Es ist absehbar, dass es zwei Wochen nach dem ersten Wahlgang – also am 1. Juni – eine Stichwahl zwischen Nawrocki und Trzaskowski geben wird. Die Frage ist also, welcher der Kandidaten für die zweite Runde auf das Wählerpotential seiner nicht bis in die Schlussrunde gekommenen Konkurrenten zurückgreifen kann. Hier hat Nawrocki rechnerisch die Nase vorn: zu seinen eigenen 28–30 Prozent kommen mit einiger Sicherheit rund 15 Prozent hinzu, die für die rechte und marktradikale »Konföderation« und ihren Kandidaten Sławomir Mentzen abgegeben werden, dazu das Publikum rechter Kleinkandidaten von farblos bis faschistoid, die in Polen als »Plankton« verspottet werden.
Trzaskowski kann sich allenfalls Hoffnungen machen, das Wählerpotential eines Teils der Linken für sich zu mobilisieren – in der Hoffnung, er möge sich als kleineres Übel bewähren. Das könnte bei der Wählerschaft von Magdalena Biejat, der Kandidatin der »Neuen Linken«, funktionieren. Sie hat ihr Publikum schon aufgefordert, in der zweiten Runde für Trzaskowski zu stimmen, in der ersten aber »mit dem Herzen« und für »linke Werte«. Biejat sagen die Umfragen sechs bis acht Prozent voraus. Sie tritt für mehr Wohnungsbau und Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich sowie für die Rechte von LGBT-Menschen ein. Ob die Übernahmeoperation beim Publikum der anderen sozialdemokratischen Partei, Razem (Gemeinsam), ebenso glatt klappen kann, ist die Frage. Denn Razem hat sich von der Regierungskoalition und dem Linksbündnis getrennt. Insofern sind die Umfragewerte von aktuell um die vier Prozent für deren Kandidaten Adrian Zandberg eine Überraschung. Auch Zandberg fordert mehr Sozialwohnungen und wirbt mit dem Slogan »Immer auf deiner Seite«.
Hintergrund: Rot wie die Koralle
Joanna Senyszyn ist mit 76 Jahren bei weitem die älteste Kandidatin der polnischen Präsidentenwahl. Und sie ist diejenige, die mit ihren Auftritten gerade bei jungen Internetnutzern Furore macht. Mit viel wirtschaftlichem Sachverstand – sie ist Professorin der Ökonomie –, Humor und einer gehörigen Portion Selbstironie hat sie seit ihren Auftritten in den Fernsehdebatten gepunktet. Und mit ihrem Outfit: Sie trägt auf einem schwarzen Oberteil immer eine lange Kette aus knallroten – künstlichen – Korallen. Wenn sie den Saal oder die Bühne betritt, hebt sie die Arme wie einst Karol Wojtyła und begrüßt alle mit »Kochani« – meine Lieben. Als ihr bei der ersten Debatte rechte Zwischenrufer den Auftritt durcheinanderbringen wollten, warf sie ironisch gemeinte Kusshändchen ins Publikum und brachte die Leute zum Lachen. Das brach das Eis.
Senyszyn ist von der »alten Garde«, die noch in der Volksrepublik Polen sozialisiert wurde. Und sie hält das Erbe der alten Postsozialisten hoch, von dem sich alle linken Wendehälse längst distanziert haben. In der linken Satirezeitschrift Nie hat sie seit Jahren eine Kolumne, in der sie gemeinsam mit der Chefredakteurin über die polnischen Verhältnisse lästert. Viel mehr als ein Prozent der Stimmen wird ihr nicht zugetraut – aber immerhin: Die 100.000 Unterschriften, die sie für ihre Kandidatur brauchte, brachte sie ohne Probleme zusammen. Eine quicklebendige ältere Frau, die die bierernste bis pfäffische polnische Politszene aufmischt. (rl)
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