Rotlicht: Common Sense
Von Felix Bartels
Auch Donald Trump hat ambitionierte Redenschreiber. Als er im Januar 2025 tat, was er am liebsten tut, sich erklären nämlich, las er ein Schlüsselwort vom Skript ab, das sogleich die Welt beschäftigte. Dabei war, was er sagte, ganz handgreiflich, regelrecht banal. »Wessen die Welt in den letzten 72 Stunden Zeuge geworden ist, ist nicht weniger als eine Revolution des Common Sense«, schnurrte der frischgebackene Präsident seinen Text herunter.
Bezogen war das namentlich auf die internationale Politik. Vier Monate später hat Trump mit seiner Common-Sense-Policy diplomatisches Chaos angerichtet und die Welt, mithin das eigene Land, durch seine Zollpolitik in eine Krise befördert. In zeitlicher Nähe seiner Adresse lag allerdings auch die Executive Order 14168, worin volkstümliches Denken den Aufstand gegen akademische Deformation probt. Während die Gendertheorie das biologische Geschlecht zu einer individuellen Frage der Empfindung macht, objektivieren Trump und seine Leute das biologische Geschlecht in kollektiver Empfindung. Mit Wissenschaft hat das eine wie das andere kaum zu schaffen, doch ruft es die Erinnerung an einen älteren Streit der Philosophie auf.
Was ist Common Sense, was meint, wer das Schlagwort ins Feld führt? Der deutsche Ausdruck »gesunder Menschenverstand« färbt den Begriff sprachlich, insofern »common sense« besser mit »gemeiner Menschenverstand« zu übersetzen wäre. Die emphatische Note aber, die das »gesund« mit sich bringt, ist in »common sense« durchaus mitgemeint. Der Begriff scheint affektiv besetzt, in der Regel positiv konnotiert. Ihm liegt eine Stimmung zugrunde. Das Wahre sehe doch jeder, erst akademische Umerziehung mache unfähig, das unmittelbar Einleuchtende zu erkennen. Es wird also ein Gegensatz zwischen gesund und verbildet konstruiert, der ein antiintellektuelles Ressentiment ebenso verrät wie einen Glauben an das Primat der Praxis. Offensichtlich scheint es darum zu gehen, sich zum Gegenstand des Wissens nicht hinbemühen zu müssen.
In der Philosophiegeschichte hat die Sache mehr Tragweite, insofern die vergleichsweise banale Common-Sense-Philosophie ein Moment ihrer Entwicklung ausmacht. Im Schottland des 18. Jahrhunderts hatte der Sensualismus von Berkeley, Locke und Hume Führung angemeldet. Hume, bei dem er am versiertesten entwickelt scheint, geht vom Standpunkt der Erfahrung aus, aus der das menschliche Denken seine Begriffe beziehe. Der Stoff des Erkennens ist durch äußerliche Anschauung oder innere Empfindung gegeben, darüber hinaus könne das Denken nicht gelangen. Angeborene Ideen werden von Hume verworfen. »Wir schließen«, schreibt er, »indem wir ähnliche Folgen von ähnlichen Ursachen erwarten, aus dem Prinzip der Gewohnheit der Verknüpfung verschiedener Erscheinungen oder Assoziation der Vorstellungen. Es gibt daher keine Erkenntnis außer der Erfahrung.«
Gegen diesen Ansatz haben sich Thomas Reid und seine Nachfolger gewendet, die man unter dem Label »schottische Philosophie« zusammenbringt. Auch Reid bindet die Erkenntnisarbeit unmittelbar an die Erfahrung, er setzt allerdings, im Gegensatz zu Hume, dass es elementare, nicht beweisbare Wahrheiten gebe, die durch den Gemeinsinn erzeugt werden. Ein unmittelbares Wissen also, das paradoxerweise zugleich innerlich und unabhängig sein soll. Ein Wissen, das keiner Wissenschaft bedarf und sich ihrer Kritik nicht stellen muss.
Der Sensualismus beschränkt somit die Erkenntnisarbeit auf den Bereich der Erfahrung und lehnt die Möglichkeit eines transzendenten Wissens über die Empfindungen hinaus ab. Der Common Sense beschränkt die Erkenntnis ebenfalls auf den Bereich der Erfahrung, setzt in ihr aber eine unmittelbare erfahrbare, objektive Wahrheit. Womit er nur vordergründig praktischer, handgreiflicher oder lebensnäher ist, vielmehr äußerst abstrakt wird. Hegel bemerkt daher, dass der gemeine Menschenverstand »nicht gerade der gesunde« sei, sondern der zu »Aberglauben an Abstraktionen heraufgebildete Verstand«.
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