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Aus: Ausgabe vom 28.05.2025, Seite 10 / Feuilleton
Musik

Hauptsache unterwegs

Salz, Wind und Liebe: Ein musikalischer Reisebericht
Von Frank Schwarzberg
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»This warmth, this is how it should be« – Anna B Savage

Ich war noch niemals in New York. Ende März ist es fast so weit, das Auslandspraktikum des Sohnes dort ein willkommener Anlass. Aber meine Lust schwindet mit jedem neuen US-Nachrichtentag. Schließlich storniere ich Flug und Hotel.

Die junge Welt erwartet einen Text über Stadtleben, Stimmung und Konzerte. Wohin statt dessen? Wie wär’s mit Holland und England? »Hauptsache unterwegs«, sagt mein jW-Redakteur. Wenig später schlendere ich an einer Delfter Gracht entlang, bewundere die alten Hausfassaden und das entspannte Bürgersteigleben vor den Häuschen, stöbere in gut bestückten Plattenläden und trinke leckeren Kaffee direkt neben dem Vermeer-Museum.

Am Abend geht’s in die 15 Zugminuten entfernte Unistadt Leiden zur Band Elephant aus Rotterdam: weiche Gesangsharmonien, Rhythmusgefühl, Tanzbarkeit, Melodienreichtum. Ein satter, sanfter Gitarrensound, der ab und zu verzerrt ausbricht. Ihr West-Coast-Sound klingt, nun ja, nach dem Freiheitsversprechen Amerikas.

In Holland, wie wohltuend, kein Thema. Nachmittags fahren wir ins zehn Zugminuten entfernte Rotterdam, in eine andere Welt. Von der schmalen Gracht zur gewaltigen Maas (so heißt der Rhein hier), von den putzigen Häuschen zu turmhohen Hochhäusern und riesigen Brücken. Eine gigantische Kulisse. Mittendrin alte Gebäude. Rotterdam schert sich nicht um Homogenität. Womit wir bei dem am Wochenende stattfindenden Momo-Festival wären. Der vollständige Name lautet Motel Mozaïque, er steht für die Stadt und fürs Programm: Disparates zusammenbringen.

Unser Highlight ist am späten Abend in der Waalse Kerk zu sehen. »I am Anna B Savage. We are Anna B Savage« stellt die Wahlirin aus London sich und ihre Band vor. Es folgt eine intime Stunde, alles ist magisch: die Songs, Savages Stimme, das Zusammenspiel der Band, der Sound, das warme Setting in der uralten wallonischen Kirche.

»You & I Are Earth« heißt das aktuelle Album. Es bildet den Kern der Performance. Anna B Savage singt über Liebe und Zärtlichkeit, zum Geliebten und darüber hinaus: »This warmth, this is how it should be« – so sollte es sein, sich anfühlen, salzig und heilsam: »I’m healing / I’m salty.« Savages Stimme geht unter die Haut, ein sanft tremolierender Alt, um die Melodie phrasierend. In einigen Songpassagen bricht die Band sonisch und dynamisch aus. Wenn es wieder leiser wird (wie dosiert diese Band das spielen kann!), schließen wir ab und zu die Augen. Salz, Wind und Liebe schwingen mit in der Musik.

Der Sonnabend gehört Delft und seinem bunten Treiben, bis sich am Sonntag die Freundin verabschiedet. Ich verbringe die Nacht auf dem Fährschiff von Hoek van Holland nach Harwich. Von dort geht es weiter nach Brighton: Seeluft, Möwengeschrei, Kultur und das alternative Lebensgefühl der Südküstenstadt ziehen mich hin. Und die Wanderung auf dem Steilküstenplateau, der Seven Sisters Walk, etwas östlich von Brighton. Blau (der Himmel), türkis (das Meer), rot (der Leuchtturm) und kreidefelsenweiß. Ein Muss.

Am Mittwoch folgt dann mein Brighton-Musik-Highlight im kleinen Obergeschoss des Prince Albert Pub. Erst spielt die unvergleichliche Joana Serrat zehn Lieder solo. Ein Raum mit eben noch schwatzhaften Engländern schweigt und lauscht gebannt. Danach mit Band inklusive Joana Serrat am Keyboard: Margo Cilker, die als Country-Outsiderin Country spielt, mit ihren tollen Texten und sehr frisch klingender Musik. Der Sound ist auch in diesem kleinen Venue vorzüglich, so dass die Stimmen der beiden Headlinerinnen ihren verdienten Raum bekommen. Beide mischen sich danach länger unters Volk. Ein perfekter Abend.

Leider lässt sich das über den letzten Act meiner Reise nicht sagen, auch wenn der Schweine-Folk-Rock der jungen Band Brown Horse aus Norwich für Liveauftritte wie gemacht dafür scheint. Der Klang im Rich Mix im Londoner Stadtteil Shoreditch ist mäßig. Gern hätte ich den Swing im Wall of Sound der Band und den Groove in Sänger Patrick Turners eigentümlichem Gesangsstil gespürt, doch es ist alles zu laut, zu kantig und zu schrill. Außerdem kommen sie inklusive einer Zugabe auf gerade mal 55 Minuten. Das verstört mich. Ihre zwei in den vergangenen 18 Monaten erschienenen Alben feiere ich trotzdem.

Am Freitag vor meiner Abfahrt laufe ich noch ein bisschen in Shoreditch herum. Viel Street Art gibt es hier. Ich bleibe vor einer Mauer stehen, auf die der Künstler Subdude die US-amerikanische Flagge gesprüht hat. In der Mitte des Bildes sind die Stars and Stripes unterbrochen, die Reste rahmen das berühmte Zitat Martin Niemöllers aus dem Jahre 1946, von Subdude leicht aktualisiert für unsere Trump-Ära: »First they came for the immigrants / And I did not speak out / Because I was not an immigrant / Then they came for ...«

Brown Horse: »All the right Weaknesses« (Loose Music)

Anna B Savage: »You And I Are Earth« (City Slang)

Elephant: »III« (Excelsior)

links & bündig gegen rechte Bünde

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