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Aus: Ausgabe vom 26.05.2025, Seite 4 / Inland
Ukrainische Delegation in Berlin

Dinner mit »Asow«-Faschisten

Ukrainische Delegation zu Besuch im Bundestag. Mit dabei: Bekennende Bandera-Anhänger und Hitler-Bewunderer
Von Susann Witt-Stahl
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Nächster Halt Ostfront: Ein Biker fährt die Wolfsangel-Flagge der »Asow«-Brigade spazieren (Lwiw, 5.5.2025)

Die Freude über »viel Aufmerksamkeit« von Abgeordneten des Deutschen Bundestags für den Besuch einer Delegation aus der Ukraine ist groß. Mitte des Monats waren »Asowstal-Verteidiger« der faschistischen 12. »Asow«-Brigade der Nationalgarde eingeladen, die jüngst zum 1. Korps erweitert worden ist. Zu der Gruppe gehörte mit Oberfeldwebel Walerij Horischnij auch ein »Überlebender« russischer Kriegsgefangenschaft, wie Sergej Sumlenny, Leiter des »European Resilience Initiative Centers« (ERIC) und Initiator des Treffens, stolz verkündete. Horischnij, der im September 2024 freigekommen war, legte in einem großen Sitzungssaal im Paul-Löbe-Haus des Bundestags Zeugnis über Verbrechen in den Lagern ab.

Sumlenny bedankte sich bei Robin Wagener und Stephan Bischoff, Experten der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen für Außen- und Sicherheitspolitik mit Schwerpunkt Osteuropa, die diesen außergewöhnlichen Auftritt ermöglicht haben sollen. Immerhin hatte das Parlament der Bundesrepublik Deutschland damit auch einem lupenreinen Nazi seine Pforten geöffnet, der schon vor dem Maidanputsch 2014 in »der Bewegung« aktiv war.

Der unabhängige Publizist Moss Robeson hatte bereits im Herbst 2024 unappetitliche Fakten über Walerij Horischnij freigelegt: Dieser hatte sich bereits im Alter von zwölf Jahren der neonazistischen Organisation »Patriot der Ukraine« angeschlossen, die für die »Sozial-Nationale Versammlung« als paramilitärischer Arm fungiert. Beide Gruppierungen, deren Führer der heutige Oberkommandeur der »Asow«-Einheiten in der ukrainischen Armee, Andrij Bilezkij, war, orientierten ihre Programmatik an Hitlers NSDAP, inklusive Vernichtungsantisemitismus. Horischnijs »weltanschaulicher« Mentor ist nach eigenen Angaben der Gründer der militanten »Wotanjugend« und Sänger der Metalband M8L8LH (Hitlers Hammer), Alexej Lewkin. Horischnij, der früher die mit »Asow« verbundene »Schule für junge Führer« geleitet hat, versucht sich auch als Musiker und Poet. »Dich, meine Liebe, bewundere ich, und ich werde dir dienen, mein Herr«, zitiert Robeson Zeilen aus einem Opus, mit denen der heute 28jährige Neonazi Adolf Hitler huldigt. Auf einem Instagram-Foto posiert Horischnij mit dem Truppenkennzeichen der Waffen-SS-Division »Galizien« auf seiner Uniform.

Eine Leidenschaft für ukrainische Nazikollaborateure hat auch Sergej Sumlenny: Er verehrt Stepan Bandera, ehemaliger Kopf des radikalen Flügels der faschistischen Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN-B), als »Freiheitschampion«. Sumlennys »Resilienzcenter«, das Geld für Waffenkäufe sammelt, kooperiert mit dem »Free Nations of Post-Russia Forum«, verlängerter Arm des von der OUN-B wiederaufgebauten »Anti-Bolshevik Bloc of Nations« und einst größter Dachverband von Hitlers Helfern weltweit.

Der peinliche Flirt von deutschen Parlamentariern mit »Asow«-Nazis wird bisher unter dem Radar der Öffentlichkeit gehalten. Auch auf den Social-Media-Kanälen der Bundestagsabgeordneten, die laut Sumlenny an dem Treffen teilgenommen haben, finden sich keine Angaben zur wahren Identität ihrer Besucher: Roderich Kiesewetter (CDU), ebenso die Vizefraktionschefin der Grünen, Agnieszka Brugger, sowie Anton Hofreiter und weitere Parteikollegen schweigen dazu beziehungsweise erwähnen Gespräche mit ukrainischen »Soldaten« und »Kriegsgefangenen«. Da die Abgeordneten offenbar auch auf ein Gruppenbild mit Nazis im Reichstag verzichten wollten, mussten sich diese schließlich mit einem »Selfie« vor dem Gebäude begnügen. Ein kleiner Trost: Später bekam Horischnij beim Wohltätigkeitsdinner für »Asow« mit Vertretern von Medien und Kultur, Rüstungs-, Tech- und Filmindustrie in der »Markthalle Neun« in Berlin-Kreuzberg noch ein Erinnerungsfoto mit Johannes Kagerer von der »Allianz Deutscher Produzenten – Film und Fernsehen«.

Ob außer von Grünen und Christdemokraten auch Politiker der anderen Bundestagsfraktionen bei der Sitzung mit »Asow« dabei waren, ist noch unbekannt. Eine entsprechende Anfrage der jW-Redaktion an Die Linke, von der dieses Mal keine »Alerta, alerta, antifascista!«-Rufe im Paul-Löbe-Haus zu vernehmen waren, blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

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