Hoffen im Krisenland BRD
Von Klaus Fischer
Am Freitag überbrachte das Statistische Bundesamt eine von Politik und Meinungsbildnern lang erhoffte Botschaft: Deutschlands Wirtschaftsleistung – dargestellt am Bruttoinlandsprodukt BIP – hat im ersten Quartal des Jahres mal keine roten Zahlen verursacht. Das war der dpa eine flotte Schlagzeile wert: »Wirtschaft wächst doppelt so stark wie erwartet«, überschrieb die Nachrichtenagentur ihren Bericht. Nach zwei aufeinanderfolgenden Rezessionsjahren und seriösen Prognosen, wonach auch 2025 das BIP schrumpfen dürfte, ist dieser mediale Frohsinn verständlich.
Um 0,4 Prozent ist die BRD-Wirtschaft zwischen Januar und März gewachsen. Noch Ende April hatten die Amtsstatistiker ein Plus von 0,2 Prozent geschätzt. Aber dann kam die »unerwartete« Verdopplung. Zum Verständnis: Ein Zehntel-Prozentpunkt repräsentiert aufs Jahr gerechnet etwa 4,3 Milliarden Euro (2024 belief sich das BIP auf 4,31 Billionen Euro). Da der Staat fast ein Viertel der Wirtschaftsleistung zu seiner Verfügung in Form von Steuern und Abgaben beansprucht, ist anzunehmen, dass auch dessen leitende Diener jedes Pluspünktchen feiern sollten.
Noch wichtiger als die voraussichtlich erhöhte BIP-Zahl ist die Botschaft: Deutschlands Wirtschaft wächst wieder. Ein Plus von 0,4 Prozent schiebt die BRD unter den oft miteinander verglichenen »Freunden« und Partnern mit einem Schlag wieder in eine bessere Position: So verringerte sich die US-Wirtschaftsleistung im selben Zeitraum um 0,1 Prozent, die im Euro-Raum legte um 0,3 Prozent zu, die EU insgesamt vermeldete ebenfalls ein Plus von 0,3 Prozent. Was hierzulande vermutlich bald mit dem Vermerk gefeiert werden dürfte, dass die BRD wieder das Zugpferd der »europäischen« Wirtschaft sei. Das wäre jedoch ein Fehlschluss.
An den meisten Krisenursachen hat sich nichts geändert. Entscheidend ist nicht die Wachstumsrate, sondern die konkrete historische Situation im Zeitraum, in der das Ergebnis erzielt wurde. Nur das gibt Anhaltspunkte, ob mit einer Fortsetzung zu rechnen ist. Hier ein kurzer Check: Hat sich die Energieversorgung im Berichtszeitraum stabilisiert? Nein. Können Gewerbe oder Dienstleister ihrer Wertschöpfung auf konkurrenzfähige Strompreise stützen? Nein. Nach wie vor bleibt die Versorgung volatil, die Preise sind hoch und die von Ökostromanhängern erhofften Gaskraftwerke (zur Sicherung der Netzstabilität in Zeiten von Dunkelflauten) sind weiter eine Art Fata Morgana.
Ist die Pleitewelle abgeflaut? Nein. Wurde die angekündigte Jobvernichtung bei Autobauern und Zulieferern, in der Chemie- und Stahlbranche usw. revidiert? Nein. Auch wird Deutschland weiterhin nicht von hochqualifizierten Fachkräften für Industrie, Gewerbe, Dienstleister oder das marode Sozialwesen überrannt. Zwar wurde vom Parlament eine gewaltige Neuverschuldung auf die Wege gebracht – Stichworte Infrastruktur und Kriegstüchtigkeit, was bei Spekulanten recht gut ankam. Das hat jedoch noch keine Wirkung auf das reale BIP, allenfalls auf den Börsenleitindex, der trotz Krise von einem Allzeithoch zum nächsten springt. Und letzte Frage: Hat sich die BRD-Wirtschaft im maßgeblichen Jahresvergleich stabilisiert? Nein. Im Vergleich mit dem ersten Quartal 2024 ist das BIP um 0,2 gesunken.
Allerdings gab es Effekte, die der Wirtschaft durchaus einen Schub verpasst haben dürften. So nennt Destatis die Exporte als Treiber für das überraschende Quartalsergebnis. Von Reuters am Freitag befragte Experten blieben zurückhaltend: »Einiges spricht dafür, dass es bedeutende Vorzieheffekte für die Ausfuhren in die USA im Vorgriff auf befürchtete Zollerhöhungen gab. So etwas ist natürlich kein auf Dauer angelegtes Konjunkturprogramm. Im zweiten Quartal dürfte es eine gewisse Korrektur geben«, zitierte die Nachrichtenagentur beispielsweise Jens-Oliver Niklasch von der Landesbank Baden-Württemberg.
Gewisse Korrekturen dürften vor allem aus der Entwicklung im Handelskrieg USA gegen den Rest der Welt resultieren, der derzeit zu ruhen scheint. Sollte es tatsächlich zu spürbaren US-Zollerhöhungen kommen, wird die Exportbranche kaum zu den Wachstumstreibern zählen.
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