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Aus: Ausgabe vom 20.05.2025, Seite 11 / Feuilleton
Landlust

Aufstieg

Von Jürgen Roth
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»Hau ’n halt ’nei’ ins Kammerla!« – Der Mäusebussard kennt sich aus mit Aufstiegen

Die weichen Wolken hingen wie für die Ewigkeit am milchigblauen Himmel. Ein Mäusebussard zirkelte sich hinauf gen Firmament.

Wohl 1977 hatte ich hier das Sportabzeichen gemacht. Das Frühsommerlicht legierte die frisch belaubten Bäume, die gegenüber ein das Panorama schmückendes Spalier bilden, und tauchte sie in die Milde der Welt.

Ich hockte auf der Haupttribüne, die aus drei Treppenstufen vor dem Sportlerheim besteht, und sah nichts vom Geschehen auf dem Geviert. Man müsste das Grün des Rasens beschreiben können, dachte ich. F. W. Bernstein hatte mal zu mir gesagt, das Allerschwerste für einen Maler sei, das Biergelb getreu aufs Papier zu pinseln.

Die meisten lehnten am Geländer. Für äußerst ansprechende Weiblichkeit war gesorgt. Mein Freund Lerd brachte mir ein Spalter vom Fressstand mit, den der Markus, der Bayern-Fan ist, betreibt.

Die alten Herren auf den abgenutzten Stühlen verströmten eine würdevolle Wurschtigkeit. »Hob etz!« oder »Hau ’n halt ’nei’ ins Kammerla!« – das war das Höchste an Erregung, und sie rauchten alle in einem Fluidum unanfechtbarer Bequemlichkeit.

Die Sonne verschwand kurz hinter einer Wolke. »Die Sonne wär’ jetz’ auch gefragt«, meinte der Lerd und erzählte, der K. sei gestern morgen auf dem Hochsitz beinahe erfroren, »wechen den Eisheiligen«.

Während der gesamten Partie gegen die Sportfreunde Dinkelsbühl schlief ein kleines Mädchen auf der Tartanbahn, eingerollt in eine Decke. In der Pause tollten die Buben auf dem Platz herum, bolzten, fielen um, warfen sich hin.

Der TSC war schon vergangene Woche aufgestiegen, das Spiel bedeutungslos. In der zweiten Hälfte wurde ein Roth aus- und ein anderer Roth eingewechselt.

Ich erwarb ein rotes T-Shirt mit der Aufschrift »Landesligaaufsteiger«. Mein Vater hatte als 2. Bürgermeister veranlasst, dass die Anlage in Alfred-Kolb-Sportzentrum umbenannt wurde, zu Ehren eines Landwirts, der dem Ort zum Segen gereicht hatte.

Linker Hand prangte eine Trauerweide. Auf dem Heimweg gingen der Lerd und ich über den Friedhof nebenan, und wir schauten kurz nach den Gräbern unserer Eltern.

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