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Stolles last Waltz

Von Pierre Deason-Tomory
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Hüne mit langen Haaren: Stolle hat ein Herz für gute Rockplatten

Bei einem Moderationsseminar im Jahr 2000 beim Freien Radio Corax in Halle (Saale) ließ sich ein Kerl das Sendungsfahren einbimsen, den nannten die Kollegen Stolle. Ein Hüne in Lederjacke mit langen Haaren, er ging kurz nach dem Sendestart von Corax mit der »Rockparade« on air, und seitdem legte Stolle hier seine Rockplatten auf und erzählte etwas dazu. Ein Jahr später war ich einige Monate in Halle, im Liebeswahn gestrandet, eine erfüllende Zeit. Ich saß von morgens bis abends in der Marktwirtschaft, oder kurz Mawi, einer Kaschemme in der Brüderstraße, und trank. Meine Zechkumpane: Ein kleinkrimineller Tätowierer, ein ehemaliger Wismut-Hauer, der gerade sein Physikstudium abschloss und ein Montagearbeiter, der tot Vaters klein Häuschen versoff.

Jeden zweiten Mittwoch, wenn die »Rockparade« anstand, kam Stolle in die Mawi und trank Bier am Tresen, aus einem Maßkrug, der in seinen Hünenhänden zerbrechlich wirkte, und der Wirt machte seine AC/DC-CD aus und stellte den Sender ein. Jetzt, nach 25 Jahren und mehr als 400 Shows, gibt besagter Dirk Stolzenhain seinen Abschied mit einem »Last Waltz« (Mi., 20 Uhr, Radio Corax). Mit Gästen im Studio, nicht in der Mawi, dort hat die Musik vor langer Zeit aufgehört zu spielen, der Dieb und der Physiker werden inzwischen irgendwo anders trinken, wenn sie überlebt haben. Der Kunde mit dem Häuschen hatte damals schon kaum noch Zähne.

Weitere Programmvorschläge: In die Unterwelt der Wiener Nachkriegsjahre versetzen uns Auszüge aus dem Roman »Internationale Zone« von Milo Dor und Reinhard Federmann, es liest Heinrich Baumgartner (Mi., 11.05 Uhr, Ö 1). Eine Filmklamotte ist das Roadmoviehörspiel »Hunting von Trier« von Nora Abdel-Maksoud (DLR Kultur 2013, Do., 22.05 Uhr, DLF Kultur). Abenteuerlich dagegen die »Letzte Fahrt« dreier verkrachter Existenzen auf einem japanischen Totenschiff (WDR 2006, Fr., 19.04 Uhr, WDR 3, Sa., 17.04 Uhr, WDR 5). Rebecca Hillauer sucht im Reservat von Wounded Knee  »Native Americans und die langen Schatten der Vergangenheit« (SRF 2024, Fr., 20 Uhr, SRF 2 Kultur).

Von einem ehemaligen Stadtindianerreservat handelt das Feature  »Görli hinter Gittern - Ein Zaun spaltet den Kiez« (DLF Kultur 2025, Sa., 18.05 Uhr, DLF Kultur, So., 20.05 Uhr, DLF). Im Dampfradioreservat Ö 1 tritt Moritz Neumeier, dessen inländerfeindlicher Humor einmal unter Polizeischutz gestellt werden musste, mit seinem neuen Programm »Was soll passieren?« auf (Sa., 19.05 Uhr, So., 21.30 Uhr). Wer nicht lachen will, kann opern: Zur selben Zeit wird Puccinis »Turandot« übertragen, ein Mitschnitt aus dem Royal Opera House London vom 1. April (Sa., 19.05 Uhr, DLF Kultur).

Am Sonntag kommen erst Fressen und Siesta, dann kommt die »Moral«, ein Hörspielklassiker von Ludwig Thoma, aus dem Nähkästchen einer gut gepuderten königlich-bayerischen Kleinstadthure geplaudert (BR 1952, So., 15.05 Uhr, Bayern 2). Etwas später bringt die »Hörspielzeit« bedrückende Nahzeitfiction des dänischen Autors Kim Fupz Aakeson, »Glückliche Kinder« (SR 1995, So., 17.04 Uhr, SR 2 Kultur). Ab Montag ist in der »Lesezeit« Thomas Mann mit Auszügen aus »Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (1/9)« zu hören, aufgenommen 1954 vom Rundfunk der DDR (Mo., 9.04 und 19.04 Uhr, MDR Kultur). Letzter Vorschlag für die nächsten sieben Tage im Radio ist die Ursendung des Krimis »Zu nah am Abgrund« von Pascal Garnier (DLF Kultur 2025, Mo., 22.05 Uhr). Zum Schluss vom Kollektiv der Radiokolumne ein Gruß nach Halle: Machs gut, Stolle.

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